Anayo gegen Deutschland (Umgangsrecht)

21.12.2010, Anayo gegen Deutschland (Beschwerde Nr.: 20578/07)

In dem Kammerurteil vom 21.12.2010 im Fall Anayo gegen Deutschland (Beschwerde-Nr. 20578/07), stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einstimmig eine Verletzung von Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention fest.

Der Fall betraf die Weigerung der deutschen Gerichte, dem Beschwerdeführer Umgang mit seinen leiblichen Kindern zu gewähren, mit denen er nie zusammengelebt hat.

Der Beschwerdeführer, Frank Eze Anayo, ist nigerianischer Staatsbürger und 1967 geboren. Er reiste 2003 nach Deutschland ein und lebte in Achern, bevor er 2008 nach Spanien zog. Sein Antrag auf Asyl in Deutschland wurde im Februar 2006 rechtskräftig abgelehnt. Etwa zwei Jahre lang hatte er eine Beziehung mit Frau B., die mit ihrem Ehemann drei Kinder hat. Im Dezember 2005, vier Monate nachdem sie sich von Herrn Anayo getrennt hatte, brachte Frau B. Zwillinge zur Welt, deren biologischer Vater er ist. Frau B. zieht die Kinder gemeinsam mit ihrem Ehemann auf, der rechtlich deren Vater ist. Das Ehepaar lehnte Herrn Anayos Bitten vor und nach der Geburt, ihm Umgang mit den Zwillingen zu gewähren, wiederholt ab.
Im September 2006 räumte das Amtsgericht-Familiengericht Baden-Baden Herrn Anayo betreuten Umgang mit den Zwillingen einmal monatlich für eine Stunde ein. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass er nach § 1685 Abs. 2 BGB als enge Bezugsperson Recht auf Umgang mit den Kindern habe. Es stützte sich auf ein psychologisches Sachverständigengutachten und befand, dass der Kontakt zwischen Herrn Anayo und den Zwillingen im Kindeswohlinteresse liege, da es wichtig für sie sei, ihre Herkunft zu kennen. Weiter befand das Gericht, dass diese Umgangsregelung für die anderen Kinder des Ehepaars B. nicht von Nachteil sei, da ein offener Umgang mit den Tasachen am ehesten den Interessen aller Beteiligten dienen würde.

Im Dezember 2006 gab das Oberlandesgericht Karlsruhe der Beschwerde des Ehepaars B. statt, hob den Beschluss des Amtsgerichts auf und wies den Antrag Herrn Anayos auf Umgang mit den Zwillingen ab. Es befand, dass er kein umgangsberechtigter Elternteil im Sinne von § 1684 BGB sei, da sich diese Regelung auf die Eltern im Rechtssinne und nicht auf den rein biologischen Vater beziehe. Da Herr Anayo keinerlei Verantwortung für die Kinder getragen und folglich keine sozial-familiäre Beziehung zu ihnen aufgebaut habe, erfülle er außerdem nicht die Voraussetzungen, um als enge Bezugsperson ein Umgangsrecht nach § 1685 Abs. 2 BGB zu beanspruchen. Nach Auffassung des Gerichts sei es daher unerheblich, ob der Kontakt zwischen Herrn Anayo und den Kindern in deren Interesse läge. Das Grundgesetz schütze den Umgang des biologischen Vaters mit seinem Kind nur insoweit, als eine sozial-familiäre Beziehung bereits bestehe; es schütze nicht seinen Wunsch, eine Beziehung zum Kind aufzubauen, wobei der Grund, warum bisher keine solche Beziehung bestehe, unerheblich sei. Am 29. März 2007 nahm das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde Herrn Anayos nicht zur Entscheidung an.

Herr Anayo sah durch die Weigerung der deutschen Gerichte, ihm Umgang mit seinen Kindern zu gewähren, seine Rechte aus Artikel 8 verletzt.

Die Beschwerde wurde am 10. Mai 2007 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Das Ehepaar B. erhielt die Erlaubnis, als Drittpartei eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Das Urteil wurde von einer Kammer mit sieben Richtern gefällt, die sich wie folgt zusammensetzte:
Peer Lorenzen (Dänemark), Präsident,
Renate Jaeger (Deutschland),
Karel Jungwiert (Tschechien),
Mark Villiger (Liechtenstein),
Mirjana Lazarova Trajkovska (“ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien”),
Zdravka Kalaydjieva (Bulgarien),
Ganna Yudkivska (Ukraine), Richter,
und Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin.
Entscheidung des Gerichtshofs
Artikel 8

Der Gerichtshof befand, dass die Entscheidungen der deutschen Gerichte, Herrn Anayo den Umgang mit seinen Kindern zu verwehren, einen Eingriff in seine Rechte aus Artikel 8 darstellten. Da er mit den Zwillingen nie zusammengelebt und sie nie kennengelernt hatte, war seine Beziehung zu ihnen zwar nicht beständig genug um als bestehendes „Familienleben“ zu gelten. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung allerdings festgestellt, dass der Wunsch, eine familiäre Beziehung aufzubauen, in den Geltungsberich von Artikel 8 fallen kann, sofern die Tatsache, dass noch kein Familienleben besteht, nicht dem Beschwerdeführer zuzuschreiben ist. Dies war bei Herrn Anayo der Fall, der nur deswegen keinen Kontakt zu den Zwillingen hatte, weil deren Mutter und rechtlicher Vater seine entsprechenden Bitten abgelehnt hatten.

Herr Anayo hatte ein ernsthaftes Interesse an den Kindern gezeigt, indem er, sowohl vor als auch nach deren Geburt, den Wunsch nach Kontakt mit ihnen geäußert und zügig ein Umgangsverfahren eingeleitet hatte. Auch wenn er mit Frau B. nie zusammengelebt hatte, waren die Kinder aus einer nicht bloß zufälligen, sondern zwei Jahre dauernden Beziehung hervorgegangen. Selbst angenommen, dass die Beziehung Herrn Anayos zu seinen Kindern nicht als „Familienleben“ gelten konnte, so betraf sie doch einen wichtigen Teil seiner Identität und folglich sein „Privatleben“ im Sinne von Artikel 8.

Der Eingriff in Herrn Anayos Privatleben war nach deutschem Recht gesetzlich vorgesehen. In Anwendung der maßgeblichen Bestimmungen des BGB hatte das Oberlandesgericht argumentiert, dass er nicht zum Kreise der zum Umgang mit den Kindern berechtigten Personen gehörte. Das deutsche Recht sah nach Auslegung des Oberlandesgerichts in Herrn Anayos Fall folglich keine Untersuchung der Frage vor, ob Kontakte zwischen dem biologischen Vater und seinen Kindern in deren Interesse lägen, sofern ein anderer Mann ihr rechtlicher Vater war und der biologische Vater noch keine Verantwortung für sie getragen hatte, und dies unabhängig von den Gründen für die Unterlassung. Die maßgeblichen Bestimmungen betrafen also auch Fälle, in denen die Tatsache, dass eine solche Beziehung noch nicht bestand, dem biologischen Vater nicht zuzuschreiben war.

Der Gerichtshof nahm zur Kenntnis, dass es in den Europaratsmitgliedstaaten keine einheitliche rechtliche Herangehensweise an die Frage gibt, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen ein biologischer Vater ein Recht auf Umgang mit seinem Kind hat, wenn der rechtliche Vater ein anderer ist. In vielen Staaten haben die nationalen Gerichte allerdings die Möglichkeit zu überprüfen, ob der Kontakt zwischen dem biologischen Vater und seinem Kind in einer Situation, die der Herrn Anayos vergleichbar ist, im Kindeswohlinteresse liegt, und können dem Vater gegebenenfalls Umgang gewähren.

Der Gerichtshof war sich dessen bewusst, dass die Entscheidung der deutschen Gerichte, Herrn Anayo Kontakt mit seinen Kindern zu verwehren, darauf abzielte, dem Willen des Gesetzgebers zu entsprechen, bestehenden Familienbindungen Vorrang gegenüber der Beziehung eines biologischen Vaters zu seinem Kind einzuräumen. Der Gerichtshof erkannte an, dass diese bestehenden Bindungen gleichermaßen schutzbedürftig waren. Folglich wäre eine gerechte Abwägung zwischen den konkurrierenden Rechten nach Artikel 8 notwendig gewesen, nicht nur denjenigen zweier Elternteile und eines Kindes, sondern denjenigen mehrerer betroffener Einzelpersonen – der Mutter, des rechtlichen Vaters, des biologischen Vaters, der gemeinsamen biologischen Kinder des Ehepaars und der aus der Beziehung der Mutter und des biologischen Vaters hervorgegangenen Kinder.

Der Gerichtshof war nicht davon überzeugt, dass die deutschen Gerichte letztinstanzlich eine gerechte Abwägung der konkurrierenden Interessen vorgenommen hatten. Insbesondere hatten sie es unterlassen, die Frage auch nur zu prüfen, ob der Kontakt zwischen den Zwillingen und Herrn Anayo unter den besonderen Umständen des Falls im Interesse der Kinder läge. Der Gerichtshof kam daher einstimmig zu dem Schluss, dass eine Verletzung von Artikel 8 vorlag.

Nach Artikel 41 (gerechte Entschädigung) entschied der Gerichtshof, dass Deutschland Herrn Anayo 5.000 Euro für den erlittenen immateriellen Schaden und 4.030,76 Euro zur Erstattung der entstandenen Kosten zu zahlen hat.

Quelle: Rechtsanwalt Thomas Richter

Anayo gegen Deutschland (EGMR)

Rechtssache A. gegen DEUTSCHLAND (Individualbeschwerde Nr. 20578/07)

Art. 8 EMRK – Versagung des Umgangsrechts – beabsichtigtes Familienleben

URTEIL

STRASSBURG

21. Dezember 2010

Dieses Urteil wird nach Maßgabe des Artikels 44 Abs. 2 der Konvention endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.

In der Rechtssache A. ./. Deutschland
hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) als Kammer mit den Richterinnen und Richtern
Peer Lorenzen, Präsident,
Renate Jaeger,
Karel Jungwiert,
Mark Villiger,
Mirjana Lazarova Trajkovska,
Zdravka Kalaydjieva
und Ganna Yudkivska
sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,
nach nicht öffentlicher Beratung am 30. November 2010
das folgende Urteil erlassen, das am selben Tag angenommen wurde:

VERFAHREN

1. Der Rechtssache lag eine Individualbeschwerde (Nr. 20578/07) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die ein nigerianischer Staatsangehöriger, Herr A. („der Beschwerdeführer“), am 10. Mai 2007 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht hatte.

2. Der Beschwerdeführer wurde von Herrn R. Schmid, Rechtsanwalt in Nagold, vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch ihre Verfahrensbevollmächtigte, Frau Ministerialdirigentin A. Wittling-Vogel vom Bundesministerium der Justiz, und ihren Stellvertreter, Herrn Ministerialrat H. J. Behrens vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.

3. Der Beschwerdeführer machte geltend, dass die deutschen Gerichtsentscheidungen, mit denen ihm der Umgang mit seinen Kindern verweigert worden war, sein Recht auf Achtung seines Familienlebens nach Artikel 8 der Konvention verletzt hätten.

4. Am 26.September 2007 entschied der Präsident der Fünften Sektion, die Regierung von der Beschwerde in Kenntnis zu setzen. Es wurde auch beschlossen, die Zulässigkeit und die Begründetheit der Beschwerde gleichzeitig zu prüfen (Artikel 29 Abs. 3 in der damals geltenden Fassung).

5. Am 2. März 2010 sah der Gerichtshof von der weiteren Anwendung von Artikel 29 Abs. 3 der Konvention ab und erklärte die Beschwerde für zulässig.

6. Am 29. April 2010 ermächtigte der Präsident der Fünften Sektion Herrn B. und Frau B., die rechtlichen Eltern der betroffenen Kinder, zur Teilnahme am schriftlichen Verfahren (Artikel 36 Abs. 2 der Konvention und Artikel 44 Abs. 2 der Verfahrensordnung in der damals geltenden Fassung). Die Drittbeteiligten wurden von Herrn M. Kleine-Cosack, Rechtsanwalt in Freiburg, vertreten.

SACHVERHALT

I. DIE UMSTÄNDE DER RECHTSSACHE

7. Der Beschwerdeführer wurde 1967 geboren und lebte in A. (Deutschland), bevor er 2008 nach Spanien zog.

1. Der Hintergrund der Rechtssache

8. Der in Nigeria geborene Beschwerdeführer reiste 2003 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Sein Asylantrag wurde abgelehnt; die Entscheidung wurde im Februar 2006 rechtskräftig.

9. Seit 2003 hatte der Beschwerdeführer eine Beziehung zu Frau B., die mit Herrn B. verheiratet war; die Eheleute haben drei Kinder, die 1996, 1998 bzw. 2000 geboren wurden. Obwohl sie zunächst die Scheidung erwog, verließ Frau B., die nie mit dem Beschwerdeführer zusammenlebte, diesen im August 2005 und lebte wieder mit ihrem Ehemann, Herrn B., und den Kindern zusammen.

10. Im Dezember 2005 bekam Frau B. Zwillinge. Der Beschwerdeführer ist der leibliche Vater der Zwillinge. Herr und Frau B. erziehen die Zwillinge gemeinsam. Nach § 1592 Nr. 1 BGB (siehe Rdnr. 28) ist Herr B. ihr rechtlicher Vater. Der Beschwerdeführer bat sowohl vor als auch nach der Geburt der Zwillinge darum, ihm Umgang mit den Zwillingen zu gewähren, was von Herrn und Frau B. wiederholt abgelehnt wurde.

2. Verfahren vor dem Amtsgericht

11. Nachdem das Amtsgericht Baden-Baden den Beschwerdeführer sowie Herrn und Frau B. in drei mündlichen Verhandlungen angehört hatte, räumte es dem Beschwerdeführer am 27. September 2006 ein Recht auf Umgang mit den Zwillingen ein, und zwar eine Stunde im Monat, zunächst im Beisein von einer dritten Person und entweder Herrn oder Frau B., wenn sie dies wünschten.

12. Das Amtsgericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer nach § 1685 Abs. 2 BGB (siehe Rdnr. 27) umgangsberechtigt sei, weil er eine enge Bezugsperson der Kinder sei. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer bislang keine Verantwortung für die Kinder übernommen habe, stehe dieser Berechtigung nicht entgegen, denn er habe keine Möglichkeit gehabt, dieser Verantwortung nachzukommen, da die Zwillinge erst im Dezember 2005 zur Welt gekommen seien. Daher könnten ihm seine Umgangsrechte nicht abgesprochen werden.

13. Das Amtsgericht war ferner der Ansicht, dass der Umgang des Beschwerdeführers mit den Zwillingen dem Wohl der Kinder diene. Es stimmte mit den Feststellungen der von ihm hinzugezogenen psychologischen Sachverständigen überein, die nach einer Anhörung von Herrn und Frau B. sowie des Beschwerdeführers zu dem Ergebnis gelangt war, dass der Umgang mit dem Beschwerdeführer dem Wohl der Kinder dienlich sei. Gerade wegen ihrer afro-deutschen Herkunft sei eine Beziehung zu dem Beschwerdeführer, ihrem leiblichen Vater, wesentlich, um ihre Wurzeln kennen zu lernen, eine Identifikationsbildung zu ermöglichen, ihr Anderssein zu verstehen und ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Das Amtsgericht befand auch, dass die Umgangsrechte des Beschwerdeführers nicht mehr aufgeschoben werden könnten, weil sie von Frau und Herrn B. zunehmend bestritten würden. Der Umgang des Beschwerdeführers mit den Zwillingen stehe auch dem Wohl der anderen drei Kinder von Herrn und Frau B. nicht entgegen, da, wie die Sachverständige überzeugend ausgeführt habe, ein offener Umgang mit den Realitäten zum Wohle aller Betroffenen wäre.

14. Bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigte das Amtsgericht, dass der Beschwerdeführer, als er und Frau B. sich im August 2005 trennten, zugestimmt habe, dass die Zwillinge bei Familien B. bleiben könnten, er jedoch erklärt habe, dass er „eine Chance im Hinblick auf das Asylverfahren haben“ wolle. Später habe er darum gebeten, ihm nach der Geburt der Zwillinge ein Umgangsrecht zu gewähren, was Herr und Frau B. abgelehnt hätten. Wenn er sich nicht in Deutschland aufhalte, so der Beschwerdeführer, sei es praktisch unmöglich für ihn, Umgang mit seinen Kindern zu haben und eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Herr und Frau B. brachten vor, der Beschwerdeführer sei an einem Umgang mit seinen Kindern nur interessiert, um eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland zu erlangen. Die psychologische Sachverständige führte wiederum aus, es habe den Anschein, dass Herr und Frau B. die Beziehung des Beschwerdeführers zu Frau B. nunmehr – fälschlicherweise und den üblichen Vorurteilen entsprechend – als bloßen Versuch auslegten, eine Aufenthaltserlaubnis zu erlangen, um ihn so für ihre eigene schwierige Situation verantwortlich zu machen.

3. Verfahren vor dem Oberlandesgericht

15. Am 12. Dezember 2006 gab das Oberlandesgericht Karlsruhe einer Beschwerde von Herrn und Frau B. statt, hob den Beschluss des Amtsgerichts auf und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Umgang mit den Zwillingen zurück.

16. Das Oberlandesgericht stellte fest, dass sich für den Beschwerdeführer kein Umgangsrecht aus § 1684 BGB (siehe Rdnr. 26) ergebe, weil sich die Bestimmung nur auf die Berechtigung des rechtlichen Vaters (im Gegensatz zum leiblichen Vater) beziehe, der in der vorliegenden Rechtssache Herr B. sei (§ 1592 Nr. 1 BGB, siehe Rdnr. 28). Da die Kinder bei ihrem rechtlichen Vater lebten, könne der Beschwerdeführer weder die Vaterschaft anerkennen (§ 1594 Abs. 2 BGB, siehe Rdnr. 29), noch die Vaterschaft von Herrn B. anfechten (§ 1600 Abs. 2 BGB, siehe Rdnr. 30).

17. Das Oberlandesgericht stellte zudem fest, dass sich für den Beschwerdeführer kein Umgangsrecht aus § 1685 BGB ergebe. Als leiblicher Vater der Zwillinge komme er zwar grundsätzlich als enge Bezugsperson der Kinder im Sinne dieser Bestimmung in Betracht. Er habe jedoch die übrigen Voraussetzungen des § 1685 BGB nicht erfüllt, weil er bislang keinerlei Verantwortung für die Kinder getragen und damit keine sozial-familiäre Beziehung zu ihnen habe.

18. Da der Beschwerdeführer folglich nicht zu dem Kreis der umgangsberechtigten Personen gehöre, komme es nicht auf die Frage an, ob der Umgang mit den Zwillingen dem Kindeswohl diene.

19. Das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens und des Elternrechts nach Artikel 6 GG (siehe Rdnr. 24) und Artikel 8 der Konvention erfordere keine andere Auslegung der Bestimmungen des BGB. Mit Blick auf Artikel 6 GG stellte das Oberlandesgericht fest, dass der Beschwerdeführer als leiblicher, nicht aber rechtlicher Vater der Zwillinge kein „Inhaber des Elternrechts“ aus Artikel 6 Abs. 2 GG sei, insbesondere weil das Nebeneinander von zwei Vätern nicht der Vorstellung von elterlicher Verantwortung entspreche. Überdies schütze Artikel 6 Abs. 1 GG die Beziehung des leiblichen Vaters zu seinem Kind nur, wenn zwischen ihnen bereits eine sozial-familiäre Beziehung bestehe; der Schutz dieser Bestimmung entstehe nicht schon aus dem Wunsch, künftig eine Beziehung zu dem Kind entstehen zu lassen. Dabei komme es nicht darauf an, aus welchem Grund keine Beziehung zwischen dem Kind und seinem leiblichen Vater entstanden sei.

20. Das Oberlandesgericht führte aus, dass die Versagung des Umgangsrechts dazu führen würde, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Kindern keine Beziehung entstehen könne und er nach Nigeria abgeschoben würde. Damit sei es nahezu ausgeschlossen, dass die Kinder zu einem späteren Zeitpunkt ihren leiblichen Vater kennen lernen könnten. Allerdings trage dies dem Umstand Rechnung, dass die Kinder in einer Familie mit ihrem rechtlichen Vater zusammenlebten, der auch in tatsächlicher Hinsicht die Vaterstellung ausfülle. Es entspreche der gesetzgeberischen Wertung, die in § 1600 Abs. 2 BGB zum Ausdruck komme, der rechtlichen und gelebten Elternbeziehung den Vorrang vor der alleine auf der Abstammung beruhenden Vaterbeziehung zu geben.

21. Mit Blick auf Artikel 8 der Konvention stellte das Oberlandesgericht fest, dass zwischen dem Beschwerdeführer und den Zwillingen nie eine familiäre Bindung bestanden habe. Es grenzte die vorliegende Rechtssache auch von der Rechtssache G. ./. Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 74969/01, 26. Februar 2004) ab, weil in dieser Sache der Beschwerdeführer auch der rechtliche Vater seines Kindes gewesen sei und ihm die elterliche Sorge übertragen worden sei.

4. Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht

22. Am 29. März 2007 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Begründung ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen, in der er geltend machte, dass die Versagung des Umgangs mit den Zwillingen gegen sein Recht auf Achtung des Familienlebens verstoße (1 BvR 183/07).

5. Weitere Entwicklungen

23. Am 15. Mai 2007 wies das Verwaltungsgericht Freiburg den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung seiner Abschiebung bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte über seine Individualbeschwerde zurück. Der Beschwerdeführer legte gegen diese Entscheidung keine Beschwerde ein. Das Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht Freiburg, in dem der Beschwerdeführer erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, ist offenbar noch nicht abgeschlossen. Der Beschwerdeführer zog 2008 nach Spanien.

II. EINSCHLÄGIGES INNERSTAATLICHES RECHT UND RECHTSVERGLEICHUNG

1. Innerstaatliches Recht und innerstaatliche Praxis

a. Bestimmungen des Grundgesetzes

24. Artikel 6 GG, soweit maßgeblich, lautet:

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

b. Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs

(i) Bestimmungen über den Umgang mit einem Kind

25. Die elterliche Sorge umfasst das Recht, den Umgang des Kindes zu bestimmen (§ 1632 Abs. 2 BGB).

26. Nach § 1684 Abs. 1 BGB hat das Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil, und jeder Elternteil ist umgekehrt zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt. Das Familiengericht kann über den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch gegenüber Dritten, näher regeln (§ 1684 Abs. 3). Es kann dieses Recht einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Das Familiengericht kann anordnen, dass das Umgangsrecht nur in Anwesenheit eines Dritten, z.B. eines Trägers der Jugendhilfe oder eines Vereins, ausgeübt werden darf (§ 1684 Abs. 4).

27. § 1685 Abs. 2 BGB in der zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung sieht für enge Bezugspersonen des Kindes ein Umgangsrecht vor, wenn dies dem Wohl des Kindes dient und wenn sie für das Kind tatsächliche Verantwortung tragen oder getragen haben (sozial-familiäre Beziehung). Eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Person mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat. § 1684 Abs. 3 und 4 finden entsprechende Anwendung.

(ii) Bestimmungen über die Vaterschaft

28. Nach § 1592 BGB ist Vater eines Kindes entweder der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist (Nr. 1), oder der Mann, der die Vaterschaft anerkannt hat (Nr. 2), oder dessen Vaterschaft nach § 1600d BGB gerichtlich festgestellt ist (Nr. 3).

29. Eine Anerkennung der Vaterschaft ist nicht wirksam, solange die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht (§ 1594 Abs. 2 BGB).

30. Die Vaterschaft kann angefochten werden. Nach § 1600 Abs. 1 BGB sind zur Anfechtung der Vaterschaft berechtigt: der Mann, dessen Vaterschaft nach § 1592 Nrn. 1 und 2 besteht, die Mutter, das Kind und der Mann, der an Eides statt versichert, der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben. Nach § 1600 Abs. 2 BGB kann Letzterer die Vaterschaft desjenigen Mannes, der nach § 1592 Nr. 1 oder 2 BGB der rechtliche Vater des Kindes ist, nur anfechten, wenn er der leibliche Vater des Kindes ist und wenn zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind keine sozial-familiäre Beziehung besteht.

31. Besteht keine Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 oder 2 BGB, so ist die Vaterschaft durch das Familiengericht festzustellen (§ 1600d Abs. 1 BGB).

2. Vergleichendes Recht

32. Eine 23 Mitgliedstaaten erfassende Studie des Gerichtshofs ergab, dass es unter den Europaratsmitgliedern keine einheitliche Herangehensweise an die Frage gibt, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen ein biologischer Vater (der nicht nur ein Samenspender ist) ein Recht auf Umgang mit seinem Kind hat, wenn der rechtliche Vater ein anderer ist.

33. In einer beträchtlichen Anzahl von Staaten (darunter insbesondere Bosnien und Herzegowina, Estland, Frankreich, Irland, Portugal, Russland, Slowenien, Spanien, Großbritannien sowie die Ukraine) muss ein biologischer Vater zur Wahrung seiner Umgangsrechte mit einem Kind, das von einer mit ihrem Ehemann zusammenlebenden Frau geboren wurde, zunächst – teilweise innerhalb einer vorgeschriebenen Zeitspanne – die bestehende Vaterschaftsvermutung anfechten. In diesen Staaten, wie auch in allen anderen untersuchten Ländern, gilt laut Gesetz die Vermutung, dass ein von einer verheirateten Frau innerhalb einer bestehenden Ehe geborenes Kind auch das Kind ihres Ehemannes ist. Wurde der biologische Vater als (rechtlicher) Vater des betreffenden Kindes anerkannt, so hat er, nach Maßgabe des Kindeswohls, wie jeder andere nicht sorgeberechtigte Elternteil ein Recht auf Umgang mit seinem Kind.

34. Gemäß einem von der Regierung vorgelegten Gutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. vom März 2010 gilt Gleiches in Griechenland. Die in Frankreich und Spanien geltenden Bestimmungen sind in diesem Gutachten jedoch abweichend ausgelegt. Recherchen des Beschwerdeführers stützen deutlich die Untersuchungsergebnisse des Gerichtshofs zur Rechtslage in Frankreich und Spanien. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass ein biologischer Vater unter Umständen, die denen der vorliegenden Individualbeschwerde entsprechen, in einigen weiteren Ländern die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anfechten könne, so unter anderem in Norwegen.

35. In einer beträchtlichen Anzahl von Europaratsmitgliedstaaten könnte laut Untersuchung des Gerichtshofs hingegen ein biologischer Vater unter Umständen, die denen der vorliegenden Individualbeschwerde entsprechen, diese Vaterschaftsvermutung nicht anfechten (siehe insbesondere Aserbaidschan, Belgien, Finnland, Italien, Kroatien, Lettland, Luxemburg, Monaco, die Niederlande, Polen, die Slowakei, die Schweiz und Ungarn). In diesen Ländern besteht für biologische Väter keine Anfechtungsberechtigung, und zwar entweder unter keinen Umständen oder zumindest nicht, sofern die Mutter noch mit ihrem Ehemann zusammenlebt (im Hinblick auf Letzteres siehe geltendes Recht in Belgien und Luxemburg).

36. Laut dem von der Regierung vorgelegten Gutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht gilt Gleiches auch in Österreich, der Tschechischen Republik, Dänemark, Liechtenstein, Schweden und der Türkei. Der Beschwerdeführer legt die Bestimmungen in Italien und der Schweiz anders aus, das von der Regierung vorgelegte Gutachten stützt jedoch die Untersuchungsergebnisse des Gerichtshofs zur Rechtslage in diesen Ländern.

37. In den letztgenannten Mitgliedstaaten kann der biologische Vater ohnehin nur als Dritter, nicht als Elternteil, Umgang beantragen. In einigen dieser Staaten (Aserbaidschan, Kroatien, Finnland, Ungarn, Italien, Luxemburg und Polen) hat der biologische Vater aber auch als Dritter kein Recht, Umgang zu beantragen, da in den Rechtsordnungen nur Umgangsrechte für rechtliche Eltern und (zum Teil) für andere Verwandte vorgesehen sind.

38. Laut dem von der Regierung vorgelegten Gutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht gewährt das Gesetz dem biologischen Vater in Liechtenstein und der Tschechischen Republik ebenfalls keine Möglichkeit, ein Umgangsrecht zu beanspruchen.

39. In den übrigen vom Gerichtshof untersuchten Ländern, in denen ein biologischer Vater die Vaterschaftsvermutung nicht anfechten kann (Belgien, Lettland, Monaco, Niederlande, Slowakei und Schweiz), müssen unterschiedliche Voraussetzungen erfüllt sein, damit diesem Vater Umgang gewährt wird, sofern der Umgang dem Kindeswohl dient. Gemäß Artikel 375bis des belgischen Zivilgesetzbuchs muss „ein besonderes affektives Verhältnis […] zum Kind“ nachgewiesen werden, gemäß Artikel 181 § 3 des lettischen Zivilgesetzbuchs muss der Vater mit dem Kind über einen längeren Zeitraum in einem gemeinsamen Haushalt zusammengelebt haben. In Monaco kann ein Richter einem Dritten – wenn es dem Kindeswohl dient – Umgang gewähren, ohne dass dies an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft wäre (vgl. Artikel 300 des monegassischen Zivilgesetzbuchs). In den Niederlanden kann Dritten (einschließlich bloßen Samenspendern), wenn eine enge persönliche Beziehung zwischen ihnen und dem Kind besteht, gemäß Artikel 1:377f und 1:377a Abs. 3 des Niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches ein Umgangsrecht eingeräumt werden, sofern dies nicht dem Kindeswohl zuwiderläuft. Artikel 25 Abs. 5 des slowakischen Familiengesetzbuchs sieht vor, dass dem biologischen Vater ein Umgangsrecht eingeräumt werden kann, wenn er als dem Kind „nahestehende Person“ anzusehen ist (aus dem von der Regierung vorgelegten Gutachten geht hervor, dass auch in Schweden eine ähnliche Bestimmung existiert) und gemäß Artikel 274a des schweizerischen Zivilgesetzbuchs kann beim Vorliegen außerordentlicher Umstände der Anspruch auf persönlichen Verkehr eingeräumt werden (laut dem von der Regierung vorgelegten Gutachten gilt die gleiche Bedingung auch in der Türkei).

40. Laut dem von der Regierung vorgelegten Gutachten ergibt sich aus § 20 des dänischen Gesetzes über die elterliche Verantwortung ein Umgangsrecht für die nächsten Angehörigen, mit denen das Kind eng verbunden ist, sofern die Eltern keinen oder nur in äußerst begrenztem Umfang Umgang mit dem Kind haben. Das Gutachten legt außerdem dar, dass nach § 148 Abs. 3 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs von Österreich ein biologischer Vater ein Besuchsrecht erhalten kann, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 8 DER KONVENTION

41. Der Beschwerdeführer rügte, dass die Versagung des Umgangs mit seinen Kindern sein Recht auf Achtung des Familienlebens nach Artikel 8 der Konvention verletze, der wie folgt lautet:

„(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

(2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“

42. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.

A. Die Vorbringen der Parteien
1. Der Beschwerdeführer

43. Der Beschwerdeführer trug vor, zwischen ihm und den Zwillingen bestehe ein „Familienleben” im Sinne von Artikel 8 Abs. 1. Entscheidend sei, dass er Interesse an den Kindern habe und bereit sei, Verantwortung für sie zu übernehmen. Er betonte, dass er als biologischer Vater ein natürliches Interesse daran habe, sich an ihrer Erziehung zu beteiligen, und bereit sei, Verantwortung für sie zu übernehmen. Seine über zwei Jahre währende Beziehung zu Frau B. sei ernster Natur gewesen, sie habe sich von ihrem Mann scheiden lassen wollen. Er habe beabsichtigt, mit Frau B. und den Kindern zusammenzuleben und sie hätten bereits nach einer Wohnung gesucht und seien zusammen zur Ultraschall-Untersuchung gegangen, bevor Frau B. ihn verlassen habe. Seit der Geburt der Kinder habe er versucht, Umgang mit ihnen zu haben und er habe ein gerichtliches Verfahren zur Umgangsregelung angestrengt.
Er sei nicht in der Lage gewesen, Kontakt zu seinen Kindern herzustellen und tatsächlich Verantwortung für sie zu übernehmen, weil Herr und Frau B. ihm den Umgang verweigert hätten. Herr und Frau B. hätten damit auch verhindern wollen, dass er sich in Deutschland aufhalte. Er wies den Vorwurf zurück, er habe von der Existenz der Kinder profitieren wollen, um eine Aufenthaltserlaubnis zu erlangen, und unterstrich, dass dieser Vorwurf bereits vom Amtsgericht Baden-Baden und der von diesem Gericht hinzugezogenen psychologischen Sachverständigen geprüft und zurückgewiesen worden sei, wobei Sachverständige als Einzige den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs häufig hervorgehoben unmittelbaren Kontakt zu allen Beteiligten hätten – so wie es auch hier der Fall gewesen sei. Darüber hinaus sei er als Asylsuchender nicht in der Lage gewesen, finanzielle Verantwortung für die Kinder zu übernehmen. Derzeit lebe er in Spanien und habe keinen anderen Grund für die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis als den, seine Kinder sehen zu können.

44. Laut Vorbringen des Beschwerdeführers war der Eingriff in sein Familienleben durch die Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte nicht nach Artikel 8 Abs. 2 gerechtfertigt. Die deutsche Gesetzgebung, die leiblichen Eltern den Umgang mit ihren Kindern nur gestatte, wenn bereits eine sozial-familiäre Beziehung zwischen ihnen bestehe, und den Umgang versage, wenn die Kontakte auf die Herstellung einer solchen Beziehung gerichtet seien, sei mit Artikel 8 nicht vereinbar, da so kein fairer Ausgleich zwischen den bestehenden Interessen stattfinde und dies in seinem Fall zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in sein Familienleben geführt habe.

Wie die vorliegende Rechtssache zeige, hinge es vom freien Willen der rechtlichen Eltern ab, ob der biologische Vater eine sozial-familiäre Beziehung zu seinen Kindern aufbauen könne. Wenn die rechtlichen Eltern den biologischen Vater willkürlich daran hinderten, könne diesem nach § 1685 Abs. 2 BGB kein Umgang gewährt werden, selbst wenn von einem unabhängigen Sachverständigen bestätigt werde, dass dies dem Kindeswohl diene. Die Frage des Umgangs müsse daher im Einzelfall unter Abstellung auf das Wohl des betroffenen Kindes – welches nach Artikel 8 der Konvention bei der Frage der Umgangsgewährung für einen biologischen Vater allein maßgeblich sei – entschieden werden und dürfe nicht von einer Rechtsvermutung darüber, wann der Umgang unter keinen Umständen dem Kindeswohl dienen würde, präjudiziert werden. Da das Oberlandesgericht ausdrücklich davon ausgegangen sei, es sei unerheblich, ob der Umgang zwischen ihm und seinen Kindern dem Wohl der Kinder diene, habe es versäumt, zutreffende und hinreichende Gründe für den Eingriff in Artikel 8 anzuführen.
Der Beschwerdeführer beanstandete die Ergebnisse eines von der Regierung für das vorliegende Verfahren in Auftrag gegebenen allgemeinen psychologischen Sachverständigengutachtens zur Frage, ob das Regelungskonzept des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Umgangsrecht leiblicher Väter mit ihren Kindern mit dem Kindeswohl vereinbar sei (siehe Rdnr. 51), und wies auch die Auslegung der Ergebnisse durch die Regierung zurück. So sei durch das psychologische Gutachten nicht belegt worden, dass Umgangskontakte leiblicher Väter mit ihren Kindern, die gegen den Willen der rechtlichen Eltern stattfänden, das Wohl der Kinder unter allen Umständen gefährdeten. Er betonte, das Bundesverfassungsgericht selbst habe eingeräumt, dass das Kennenlernen beider Elternteile für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes von höchster Bedeutung sei. Er unterstrich weiterhin, dass Konstellationen mit zwei Vätern für Familien heutzutage nicht ungewöhnlich seien, da viele Kinder nach der Trennung ihrer Eltern mit Mutter und Stiefvater zusammenlebten und gleichzeitig Umgang mit ihrem Vater hätten.

46. Der Beschwerdeführer bestritt zudem, dass die Regelungen zum Umgangsrecht zwischen biologischen Vätern und Kindern in den meisten anderen europäischen Ländern ebenso restriktiv seien wie in Deutschland. Er brachte vor, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die in nur 17 der 47 Mitgliedstaaten des Europarats untersuchten Umgangsrechte biologischer Väter in dem von der Regierung vorgelegten Gutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (siehe Rdnr. 52) repräsentativ für die Rechtslage in allen Europaratsmitgliedstaaten seien.

47. Der Beschwerdeführer betonte ferner, dass Kontakte zwischen den Kindern und ihm, ihrem leiblichen Vater, den Umständen der Rechtssache nach dem Kindeswohl entsprächen. Die in dem Verfahren vor dem Amtsgericht hinzugezogene unabhängige Sachverständige habe dies bestätigt und festgestellt, dass der Kontakt mit ihm für die Kinder wichtig sei, um ihre eigene Identität zu entwickeln, insbesondere da sichtbar sei, dass Herr B. nicht ihr leiblicher Vater sei. Da sie afro-deutscher Herkunft seien, bräuchten sie ihren Vater, um ihr Anderssein zu verstehen. Der Beschwerdeführer unterstrich, dass Herr und Frau B. die Sachverständige in den Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten nicht wegen Befangenheit abgelehnt und die Familiengerichte sie nicht für befangen gehalten hätten. Die Versagung des Umgangs mit seinen Kindern hätte seine Abschiebung aus Deutschland zur Folge, die wiederum künftige Kontakte zwischen ihm und den Kindern ausschlösse.

2. Die Regierung

48. Die Regierung trug vor, einen Eingriff in die Rechte des Beschwerdeführers aus Artikel 8 Abs. 1 habe es nicht gegeben, weil zwischen dem Beschwerdeführer und den Zwillingen kein „Familienleben“ bestanden habe. Es reiche nicht aus, dass der Beschwerdeführer der leibliche Vater der Kinder sei. Zwischen ihm und den Zwillingen bestünden keine engen Bindungen. Die Beziehung des Beschwerdeführers zu Frau B. sei bereits vier Monate vor der Geburt der Zwillinge beendet gewesen und er sei weder bei der Geburt anwesend gewesen noch seien Umgangskontakte mit den Zwillingen erfolgt. Er habe zu keinem Zeitpunkt mit Frau B. in häuslicher Gemeinschaft gelebt und auch keinerlei finanzielle Verantwortung für die Kinder übernommen. Vielmehr hätten die Kinder seit ihrer Geburt in einer anderen Familie gelebt. Der bloße Wunsch des Beschwerdeführers, der zwischenzeitlich nach Spanien gezogen sei, eine Beziehung zu den Zwillingen herzustellen, falle nicht unter den Aspekt des „Familienlebens“ nach Artikel 8 Abs. 1. Ferner scheine es, dass der Beschwerdeführer an Frau B. und den Zwillingen nur interessiert sei, um eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland zu erlangen, und dass fraglich sei, ob der Wunsch des Beschwerdeführers, eine Beziehung zu seinen Kindern herzustellen, der wahre Grund für seine Bemühungen um ein Umgangsrecht mit den Zwillingen sei.

49. Die Regierung führte ferner aus, dass, sollte der Gerichtshof annehmen, dass ein Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers vorliege, dieser Eingriff nach Artikel 8 Abs. 2 gerechtfertigt sei. Der Eingriff habe in Übereinstimmung mit den §§ 1592 Nr. 1, 1684 und 1685 BGB sowie Artikel 6 GG gestanden (siehe Rdnrn. 24 und 26-28).

50. Der Eingriff sei ferner zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, insbesondere zum Schutz der rechtlich-sozialen Familie und des Wohls der Kinder, notwendig gewesen. Es sei ein angemessener Ausgleich der betroffenen Interessen erfolgt, d.h. der Interessen des leiblichen Vaters, der rechtlichen Eltern und der Kinder.

51. Die Regierung vertrat die Auffassung, dass der deutsche Gesetzgeber mit den §§ 1592, 1594, 1684 und 1685 BGB von vornherein einen Ausgleich der betroffenen widerstreitenden Interessen vorgenommen habe, der den sich aus Artikel 8 ergebenden Anforderungen entspreche. Für das Wohl von Kindern sei es äußerst wichtig, nicht nur ihre Abstammung zu kennen, sondern vor allem zu verstehen, welcher Familie sie zugeordnet seien und wer als Mutter oder Vater Verantwortung für sie trage. Die Regierung nahm auf die Ergebnisse eines allgemeinen psychologischen Sachverständigengutachtens Bezug, das es für das vorliegende Verfahren zu der Frage in Auftrag gegeben habe, ob die Bestimmungen des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Umgangsrecht leiblicher Väter mit ihren Kindern mit dem Kindeswohl vereinbar seien. Entsprechend diesem Gutachten würden Umgangskontakte zwischen den Kindern und dem Elternteil, mit dem sie nicht zusammenlebten, in der Regel zur Belastung für die Kinder und dienten somit nicht ihrem Wohl, wenn es den betroffenen Eltern – wie im vorliegenden Fall – nicht gelinge, ihre wechselseitigen Konflikte nach der Trennung zu begrenzen. Zudem gehe das vollständige Fehlen eines persönlichen Kontaktes zum leiblichen Vater dem Sachverständigengutachten zufolge in der Regel nicht mit Beeinträchtigungen im Bereich der sozialen und emotionalen Entwicklung des Kindes einher.

52. Die Regierung war ferner der Auffassung, dass eine Rechtsvergleichung bestätige, dass die Bestimmungen aus §§ 1684 und 1685 BGB im Vergleich zu dem anwendbaren Recht in anderen europäischen Ländern das Recht biologischer Väter auf Umgang mit ihren Kindern gebührend schütze und dass das Kindeswohl keine andere Lösung rechtfertige. Sie bezog sich dabei auf die Erkenntnisse eines im März 2010 in ihrem Auftrag erstellten Gutachtens des Deutschen Jugendinstituts e.V. (DIJuF), einer Nicht-Regierungs-Organisation, in dem die Umgangsrechte biologischer Väter in 17 anderen Mitgliedstaaten des Europarats analysiert wurden (siehe auch Rdnrn. 34-40). Das deutsche Recht, das biologische Väter nicht unter allen Umständen vom Umgangsrecht mit ihren Kindern ausnehme, sondern ein Umgangsrecht nur dann gewähre, wenn eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem biologischen Vater und dem Kind bestehe und der Umgang dem Kindeswohl diene, entspreche den allgemeinen europäischen Standards in diesem Bereich.

53. Die Regierung brachte vor, dass die deutschen Rechtsvorschriften zum Umgang biologischer Väter mit ihren Kindern auch im vorliegenden Fall zu einem angemessenen Ergebnis geführt hätten, das dem Wohl der betroffenen Kinder dienlich sei. Zwar könne auch ein biologischer Elternteil ein Interesse daran haben, seine Kinder kennen zu lernen und eine Beziehung zu ihnen aufzubauen, jedoch lebten die Kinder in dem vorliegenden Fall in einer funktionierenden rechtlich-sozialen Familie, wohingegen der Beschwerdeführer nie mit ihnen zusammengelebt habe. Da die Zwillinge hellhäutig seien und helle Haare hätten, würden sie kaum begreifen können, was sie mit dem Antragsteller verbinde. Die rechtlichen Eltern wüssten am besten, wann sie die Zwillinge über ihre Abstammung aufzuklären hätten. Deshalb diene es dem Kindeswohl und dem Interesse der rechtlich-sozialen Familie, vor Eingriffen von außen geschützt zu werden. Was die Feststellungen der psychologischen Sachverständigen in dem Verfahren vor dem Amtsgericht angehe, hätten Herr und Frau B. die Sachverständige für befangen gehalten.

3. Die Drittbeteiligten

54. Die Drittbeteiligten vertraten die Auffassung, dass es unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache, in der die Kinder in ihrer rechtlichen Familie lebten und zu keinem Zeitpunkt Kontakt zu ihrem biologischen Vater gehabt hätten, an ihnen als rechtliche Eltern der Kinder sein sollte, zu entscheiden, ob und wann Kontakte zwischen ihren Kindern und dem biologischen Vater stattfinden sollten. Sie fürchteten, dass das Wohl der Kinder und ihrer gesamten Familie gefährdet würde, wenn sie gezwungen würden, Kontakte zwischen den Zwillingen und dem Beschwerdeführer zu erlauben. Sie betonten, dass es sehr schwierig für sie gewesen sei, ihre große Familie zusammenzuhalten. Das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten könne in dem Verfahren vor dem Gerichtshof nicht berücksichtigt werden, da das Oberlandesgericht, welches das Gutachten für die Entscheidung in der Sache als irrelevant erachtet habe, ihre Einwände dagegen nicht geprüft habe. Darüber hinaus waren sie der Auffassung, dass der Beschwerdeführer das Vertrauen von Frau B. in ihn missbraucht habe und die Kinder jetzt ausschließlich dazu benutzen wolle, eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland zu erhalten.

B. Würdigung durch den Gerichtshof

1. Gab es einen Eingriff?

55. Der Gerichtshof erinnert daran, dass sich der Begriff des „Familienlebens“ nach Artikel 8 der Konvention nicht auf eheliche Beziehungen beschränkt und auch andere faktische „familiäre“ Bindungen erfassen kann, wenn die Beteiligten in nichtehelicher Gemeinschaft zusammenleben. Ein Kind, das aus einer solchen Beziehung hervorgeht, ist vom Augenblick seiner Geburt an und schon allein durch seine Geburt ipso iure Teil dieser „Familien”-Einheit (siehe Keegan ./. Irland, 26. Mai 1994, Rdnr. 44, Serie A Bd. 290; Lebbink ./. die Niederlande, Individualbeschwerde Nr. 45582/99, Rdnr. 35, ECHR 2004-IV; und Znamenskaya ./. Russland, Individualbeschwerde Nr. 77785/01, Rdnr. 26, 2. Juni 2005).

56. Jedoch reicht die biologische Verwandtschaft zwischen einem leiblichen Elternteil und einem Kind allein - d.h. ohne weitere rechtliche oder tatsächliche Merkmale, die auf das Vorliegen einer engen persönlichen Beziehung hindeuten - nicht aus, um unter den Schutz von Artikel 8 zu fallen (vgl. Lebbink, a.a.O., Rdnr. 37). In der Regel ist das Zusammenleben eine Voraussetzung für eine Beziehung, die einem Familienleben gleichkommt. Ausnahmsweise können auch andere Faktoren als Nachweis dafür dienen, dass eine Beziehung beständig genug ist, um faktische „familiäre Bindungen“ zu schaffen (siehe Kroon u.a. ./. die Niederlande, 27. Oktober 1994, Rdnr. 30, Serie A Bd. 297-C; und Lebbink, a.a.O., Rdnr. 36).

57. Ferner hat der Gerichtshof die Auffassung vertreten, dass auch ein beabsichtigtes Familienleben ausnahmsweise unter Artikel 8 fallen kann, und zwar vor allem dann, wenn der Umstand, dass das Familienleben noch nicht vollständig hergestellt war, nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen war (vgl. Pini u.a. ./. Rumänien, Individualbeschwerden Nr. 78028/01 und 78030/01, Rdnrn. 143 und 146, ECHR 2004-V). Sofern es die Umstände rechtfertigen, muss sich das „Familienleben“ insbesondere auch auf die potentielle Beziehung erstrecken, die sich zwischen einem nichtehelichen Kind und dessen leiblichem Vater entwickeln kann. Maßgebliche Kriterien, die in diesen Fällen für das tatsächliche und praktische Vorliegen enger persönlicher Bindungen maßgeblich sein können, sind unter anderem die Art der Beziehung zwischen den leiblichen Eltern sowie das nachweisbare Interesse an dem Kind und Bekenntnis zu ihm seitens des leiblichen Vaters sowohl vor als auch nach der Geburt (siehe Nylund ./. Finnland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 27110/95, ECHR 1999-VI; N. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 46165/99, 19. Juni 2003; Lebbink, a.a.O., Rdnr. 36; und H. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 33375/03, 18. März 2008; vgl. auch Różański ./. Polen, Individualbeschwerde Nr. 55339/00, Rdnr. 64, 18. Mai 2006).

58. Der Gerichtshof weist ferner erneut darauf hin, dass Artikel 8 nicht nur das „Familienleben“, sondern auch das „Privatleben“ schützt. Traditionell haben die Konventionsorgane die Auffassung vertreten, dass enge Beziehungen, bei denen es sich nicht um „Familienleben“ handelt, grundsätzlich unter den Aspekt des „Privatlebens“ fallen (siehe Znamenskaya, a.a.O., Rdnr. 27 mit weiteren Nachweisen) Im Zusammenhang mit Verfahren über die Feststellung oder Anfechtung der Vaterschaft hat der Gerichtshof daher festgestellt, dass die Feststellung der rechtlichen Beziehung eines Mannes mit seinem rechtlichen oder vermeintlichen Kind zwar sein „Familienleben“ betreffen könnte, dieser Punkt aber offen bleiben kann, weil die Sache zweifelsohne das Privatleben des Mannes nach Artikel 8 betrifft, der wichtige Aspekte der Persönlichkeit von Menschen umfasst (siehe Rasmussen ./. Dänemark, 28. November 1984, Rdnr. 33, Serie A Bd. 87; Nylund, a.a.O.; Yildirim ./. Österreich (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 34308/96, 19. Oktober 1999, und Backlund ./. Finnland, Individualbeschwerde Nr. 36498/05, Rdnr. 37, 6. Juli 2010).

59. In der vorliegenden Rechtssache muss der Gerichtshof in erster Linie feststellen, ob die vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Entscheidung des Oberlandesgerichts, dem Beschwerdeführer den Umgang mit den Zwillingen zu versagen, das bestehende „Familienleben“ des Beschwerdeführers mit seinen Kindern im Sinne von Artikel 8 missachtete. Eingangs stellt er fest, dass es (wie zum Beispiel in den Rechtssachen Yousef ./. die Niederlande, Individualbeschwerde Nr. 33711/96, Rdnr. 51, ECHR 2002-VIII, und Lebbink, a.a.O., Rdnrn. 12 und 37, aber anders als zum Beispiel in den Rechtssachen Nylund, a.a.O., und Hülsmann, a.a.O.) unstreitig ist, dass der Beschwerdeführer der leibliche Vater der Zwillinge ist. Bei der Prüfung der Frage, ob darüber hinaus eine enge persönliche Beziehung zwischen ihm und den Kindern besteht, die als gefestigtes „Familienleben“ im Sinne von Artikel 8 anzusehen ist, stellt der Gerichtshof fest, dass der Beschwerdeführer nie mit den Zwillingen oder ihrer Mutter zusammengelebt hat und die Kinder bis heute nicht getroffen hat. Unter diesen Umständen ist ihre Beziehung nicht ausreichend beständig, um als bestehendes „Familienleben“ eingestuft zu werden.

60. Allerdings hat der Gerichtshof festgestellt, dass auch ein beabsichtigtes Familienleben ausnahmsweise unter Artikel 8 fallen kann, wenn der Umstand, dass das Familienleben nicht hergestellt ist, nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen ist (siehe Rdnr. 57). Dies gilt insbesondere für die Beziehung zwischen einem nichtehelichen Kind und seinem biologischen Vater, deren natürliche Bindung unveränderlich ist, während ihre tatsächliche Beziehung aus praktischen oder rechtlichen Gründen von der Kindesmutter und, wenn sie verheiratet ist, von ihrem Ehemann bestimmt werden kann. In der vorliegenden Rechtssache hatte der Beschwerdeführer noch keinen Umgang mit seinen biologischen Kindern, weil deren Mutter und rechtlicher Vater, die das Recht haben, über den Umgang der Zwillinge mit anderen Personen zu entscheiden (§ 1632 Abs. 2 BGB, siehe Rdnr. 25), seine Bitten, ihm den Umgang mit ihnen zu gewähren, ablehnten. Darüber hinaus konnte der Beschwerdeführer nach deutschem Recht (§ 1594 Abs. 2 und § 1600 Abs. 2 BGB, siehe Rdnrn. 16, 29 und 30) weder die Vaterschaft anerkennen, noch die Vaterschaft von Herrn B. anfechten, um der rechtliche Vater der Zwillinge zu werden. Somit kann ihm der Umstand, dass noch keine gefestigte Familienbeziehung zwischen ihm und seinen Kindern bestanden hat, nicht vorgeworfen werden.

61. Bei der Prüfung der Frage, ob darüber hinaus enge persönliche Bindungen zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Kindern bestanden, so dass ihre Beziehung unter den Schutz von Artikel 8 fällt (siehe Rdnr. 57), muss der Gerichtshof in erster Linie das Interesse des Vaters an den betroffenen Kindern sowie sein Bekenntnis zu ihnen berücksichtigen. Er stellt fest, dass der Beschwerdeführer schon vor der Geburt seiner Kinder den Wunsch kundgetan hat, Umgang mit ihnen zu haben, und Herrn und Frau B. nach der Geburt wiederholt gebeten hat, ihm den Umgang zu gewähren. Er versuchte ferner, Umgang mit den Zwillingen zu haben, indem er zügig nach ihrer Geburt ein Verfahren zur Regelung des Umgangs vor den innerstaatlichen Gerichten anstrengte. Unter den Umständen der Rechtssache, in der es dem Beschwerdeführer verwehrt war, weitere Schritte zu unternehmen, um Verantwortung für die Zwillinge zu übernehmen, ist der Gerichtshof der Auffassung, dass dieses Verhalten als Nachweis für das Interesse des Beschwerdeführers an seinen Kindern ausreicht. Folglich hält es der Gerichtshof insbesondere nicht für erwiesen, dass es dem Beschwerdeführer an echtem Interesse an seinen Nachkommen fehle und er nur Umgang mit ihnen wolle, um eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Darüber hinaus stellt der Gerichtshof im Hinblick auf die Art der Beziehung zwischen den biologischen Eltern der Zwillinge fest, dass der Beschwerdeführer und Frau B. zwar nie zusammen gewohnt haben, die Kinder aber aus einer Beziehung hervorgingen, die ungefähr zwei Jahre dauerte und daher nicht rein zufällig war.

62. Vor diesem Hintergrund schließt der Gerichtshof nicht aus, dass die beabsichtigte Beziehung zwischen dem Vater und seinen biologischen Kindern unter den Schutz des „Familienlebens“ nach Artikel 8 fällt. Jedenfalls betraf die Feststellung der in Rede stehenden rechtlichen Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seinen biologischen Kindern – namentlich die Frage, ob der Beschwerdeführer ein Recht auf Umgang mit seinen Kindern hatte – einen wichtigen Teil der Persönlichkeit des Beschwerdeführers und damit sein „Privatleben“ im Sinne von Artikel 8 Abs. 1, selbst wenn es sich dabei nicht um ein Familienleben handelte. Die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte, ihm den Umgang mit seinen Kindern zu versagen, stellte demnach einen Eingriff in sein Recht auf Achtung zumindest seines Privatlebens dar.

2. War der Eingriff gerechtfertigt?

63. Ein derartiger Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens einer Person stellt eine Verletzung von Artikel 8 dar, es sei denn, er ist „gesetzlich vorgesehen“, verfolgte ein oder mehrere Ziele, die nach Absatz 2 dieser Bestimmung legitim sind, und kann als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ angesehen werden.

64. Die vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Entscheidung des Oberlandesgerichts zur Umgangsregelung beruhte auf den §§ 1684 und 1685 i.V.m. § 1592 Nr. 1 BGB (siehe Rdnrn. 26-28). Sie hatte das Wohl eines Ehepaars, Herr und Frau B., und der während ihrer Ehe geborenen Kinder zum Ziel, die mit ihnen zusammenlebten und für die sie sorgten, und erging demnach zum Schutz ihrer Rechte und Freiheiten.

65. Hinsichtlich der Frage, ob der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war, verweist der Gerichtshof auf die in seiner Rechtsprechung festgelegten Grundsätze. Er hat zu prüfen, ob die zur Rechtfertigung des Eingriffs angeführten Gründe in Anbetracht der Rechtssache insgesamt im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 zutreffend und ausreichend waren (siehe u.a. T.P. und K.M. ./. Vereinigtes Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 28945/95, Rdnr. 70, ECHR 2001-V (Auszüge), und S. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 31871/96, Rdnr. 62, ECHR 2003-VIII (Auszüge)) Er kann nicht ausreichend beurteilen, ob diese Gründe „hinreichend“ waren, ohne gleichzeitig festzustellen, ob der Entscheidungsprozess als Ganzes fair war und dem Beschwerdeführer den nach Artikel 8 erforderlichen Schutz seiner Interessen zuteil werden ließ (siehe u.a. T.P. und K.M. ./. Vereinigtes Königreich, a.a.O., Rdnr. 72, und S., a.a.O., Rdnr. 66). Von entscheidender Bedeutung bei jeder Rechtssache dieser Art ist die Überlegung, was dem Kindeswohl am besten dient (siehe u.a. Yousef ./. die Niederlande, Individualbeschwerde Nr. 33711/96, Rdnr. 73); je nach seiner Art und Bedeutung kann das Kindeswohl den Interessen des Elternteils vorangehen (siehe S., a.a.O., Rdnr. 66; und G. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 74969/01, Rdnr. 43, 26. Februar 2004).

66. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs ist zu bedenken, dass die nationalen Behörden insoweit im Vorteil sind, als sie unmittelbaren Kontakt zu allen Beteiligten haben. Aus diesen Überlegungen folgt, dass die Aufgabe des Gerichtshofs nicht darin besteht, an Stelle der nationalen Behörden deren Aufgaben in Fragen des Umgangsrechts wahrzunehmen, sondern im Lichte der Konvention die Entscheidungen zu überprüfen, die diese Behörden in Ausübung ihres Ermessens getroffen haben (siehe u.a. Hokkanen ./. Finnland, 23. September 1994, Rdnr. 55, Serie A, Band 299-A; G., a.a.O., Rdnr. 41; und S., a.a.O., Rdnr. 62). Allerdings bedarf es bei Einschränkungen des Umgangsrechts der Eltern durch die innerstaatlichen Behörden einer strengen Prüfung, da sie die Gefahr bergen, dass die Familienbeziehungen zwischen einem kleinen Kind und einem Elternteil endgültig abgeschnitten werden (siehe u.a. E. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 25735/94, Rdnr. 48-49, ECHR 2000-VIII; S., a.a.O., Rdnrn. 62-63; und G. a.a.O., Rdnrn. 41-42). Die oben genannten Grundsätze müssen auch in Fällen wie dem vorliegenden gelten, in denen die Ablehnung des Umgangs eines biologischen Vaters mit seinen Kindern als Eingriff zumindest in sein „Privatleben“ eingestuft wird.

67. In der vorliegenden Rechtssache versagte das Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer, dem biologischen Vater, den Umgang mit seinen zwei Kindern, ohne die Frage zu prüfen, ob ihr Umgang dem Wohl der Zwillinge dienen würde. Unter Anwendung der einschlägigen Bestimmungen des BGB (§§ 1684 und 1685) legte dieses Gericht dar, dass der Beschwerdeführer nicht zu dem Personenkreis gehöre, dem ein Umgangsrecht zustehe, da er nicht der rechtliche Vater der Kinder sei und keine Verantwortung für sie getragen habe (siehe Rdnrn. 17 und 18). Nach der Auslegung des Oberlandesgerichts sieht das deutsche Recht demnach keine gerichtliche Prüfung der Frage vor, ob der Umgang zwischen einem biologischen Vater und seinen Kindern dem Kindeswohl dienlich wäre, wenn ein anderer Mann der rechtliche Vater der Kinder ist und der biologische Vater noch keine Verantwortung für die Kinder getragen hat („sozial-familiäre Beziehung“).

Von einer solchen „sozial-familiären Beziehung“ wird vor allem dann ausgegangen, wenn dieser Vater längere Zeit mit den Kindern in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat (siehe sinngemäß für einen weiteren Fall, in dem die Elternrechte des Vaters ohne weitere Prüfung der Sache prima facie als dem Kindeswohl nicht dienlich erachtet wurden, Z. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 22028/04, Rdnrn. 44 und 46, 3. Dezember 2009, im Hinblick auf den grundsätzlichen Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung der Zuweisung der Alleinsorge an die Mutter eines nichtehelichen Kindes).

Das Oberlandesgericht argumentierte, dass die Gründe dafür, dass der biologische Vater nicht bereits eine „sozial-familiäre Beziehung“ zu seinen Kindern aufgebaut habe, unerheblich seien (siehe Rdnr. 19); die Bestimmungen erfassten somit auch Fälle, in denen die Tatsache, dass eine solche Beziehung noch nicht bestanden habe, nicht dem biologischen Vater zuzurechnen sei.

68. Der Gerichtshof möchte in diesem Zusammenhang auch festhalten, dass eine Rechtsvergleichung ergeben hat, dass es in den Mitgliedstaaten des Europarats keine einheitliche Herangehensweise an die Frage gibt, ob, und gegebenenfalls unter welchen Umständen ein biologischer Vater das Recht auf Umgang mit seinem Kind hat, wenn der rechtliche Vater ein anderer ist. In einer beträchtlichen Anzahl von europäischen Staaten können die innerstaatlichen Gerichte jedoch der Sache nach prüfen, ob der Umgang eines biologischen Vaters mit seinem Kind in einer Situation, die der des Beschwerdeführers vergleichbar ist, dem Kindeswohl dienlich wäre, und dem Vater Umgang gewähren, wenn dies der Fall ist (siehe Rdnrn. 32-40).

69. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass es in Fällen, die sich aus Individualbeschwerden ergeben, nicht Aufgabe des Gerichtshofs ist, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften abstrakt zu prüfen; er muss vielmehr prüfen, in welcher Weise diese Rechtsvorschriften unter den jeweiligen Umständen auf den Beschwerdeführer angewendet wurden (siehe u.a. S., a.a.O., Rdnr. 86, und Z., a.a.O., Rdnr. 45). Er stellt fest, dass die Vorgehensweise des Oberlandesgerichts und seine Auslegung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften dazu geführt haben, dass dem Beschwerdeführer jeglicher Umgang mit seinen Kindern versagt wurde, und zwar unabhängig von der Frage, ob ein solcher Umgang dem Wohl der Kinder dienlich wäre. Damit hat das Oberlandesgericht der Tatsache, dass der Beschwerdeführer aus rechtlichen und praktischen Gründen nicht dazu in der Lage war, die Beziehung zu seinen Kindern selbst zu ändern, kein Gewicht beigemessen. Nach den geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 1592 Nr. 1, 1594 Abs. 2 und 1600 Abs. 2) konnte er nicht der rechtliche Vater der Zwillinge werden. Auch durch Übernahme von Verantwortung für die Kinder konnte er kein Umgangsrecht erlangen, weil die rechtlichen Eltern, Herr und Frau B., das Recht hatten, über den Umgang der Zwillinge mit Dritten zu entscheiden (§ 1632 Abs. 2 BGB, siehe Rdnr. 25), und damit verhindern konnten, dass der Beschwerdeführer Verantwortung für sie übernehmen könnte. Die Gründe der rechtlichen Eltern, den Umgang zu verweigern, mussten nicht unbedingt auf Überlegungen gründen, die mit dem Wohl der Kinder zusammenhingen.

70. Der Gerichtshof ist sich der Tatsache bewusst, dass es Ziel der Entscheidung des Oberlandesgerichts war, dem Willen des Gesetzgebers zu entsprechen, der bestehenden familiären Beziehung zwischen einem rechtlichen Vater und einem Kind, die tatsächlich mit ihrer Frau bzw. Mutter zusammenleben, Vorrang vor der Beziehung zwischen einem biologischen Vater und einem Kind einzuräumen (siehe Rdnr. 20). Er stellt ferner fest, dass die Zwillinge in der vorliegenden Rechtssache mit ihrem rechtlichen Vater und ihrer Mutter zusammenlebten, und erkennt an, dass die bestehenden Familienbande zwischen den Ehepartnern und den Kindern, für die sie tatsächlich sorgten, ebenfalls schutzwürdig waren. Tatsächlich unterscheidet sich die vorliegende Rechtssache von vielen früheren Individualbeschwerden vor dem Gerichtshof über Fragen des Umgangs mit Kindern, da die innerstaatlichen Behörden einen fairen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Rechten nach Artikel 8 finden müssen, und zwar nicht nur zwischen den Rechten von zwei Elternteilen und einem Kind, sondern von mehreren betroffenen Personen – der Mutter, dem rechtlichen Vater, dem biologischen Vater, den biologischen Kindern des Ehepaars und den Kindern, die aus der Beziehung zwischen der Mutter und dem biologischen Vater hervorgingen.

71.
Dennoch ist der Gerichtshof nicht überzeugt, dass die innerstaatlichen Gerichte, indem sie den bestehenden Familienbanden zwischen Herrn und Frau B. und den Kindern Schutz gewährten, einen fairen Ausgleich zwischen den betroffenen widerstreitenden Interessen durch einen Entscheidungsfindungsprozess erreichten, der dem Beschwerdeführer den nach Artikel 8 erforderlichen Schutz seiner Interessen zuteil werden ließ, und ausreichende Gründe anführten, um ihren Eingriff im Sinne von Artikel 8 Abs. 2 zu rechtfertigen.

In diesem Zusammenhang möchte er erneut darauf hinweisen, dass es Aufgabe der innerstaatlichen Gerichte, die den Vorteil des unmittelbaren Kontakts zu allen betroffenen Personen haben, ist, in Ausübung ihres Ermessens festzustellen, ob der Umgang zwischen einem biologischen Vater und seinen Kindern dem Wohl der Kinder dient. In der vorliegenden Rechtssache hat das Oberlandesgericht jedoch überhaupt nicht geprüft, ob der Umgang zwischen den Zwillingen und dem Beschwerdeführer unter den besonderen Umständen des Falls dem Wohl der Kinder dienen würde.

72. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Gründe, welche die innerstaatlichen Gerichte für die Versagung des Umgangs des Beschwerdeführers mit seinen Kindern angeführt haben, nicht „ausreichend“ im Sinne von Artikel 8 Abs. 2 waren. Der Eingriff in sein Recht auf Achtung seines Privatlebens war daher nicht „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“.

73. Folglich ist Artikel 8 der Konvention verletzt worden.

II. ANWENDUNG VON ARTIKEL 41 DER KONVENTION

74. Artikel 41 der Konvention lautet:

„Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist.“

A. Schaden

75. Der Beschwerdeführer forderte 10.000 € (EUR) in Bezug auf den immateriellen Schaden. Er brachte vor, dass er unter der Verweigerung, für seine Kinder sorgen zu dürfen, erheblich gelitten habe.

76. Die Regierung hat sich zu der Forderung des Beschwerdeführers nicht geäußert.

77. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Versagung jeglichen Umgangs zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Kindern durch das Oberlandesgericht ohne eine Prüfung der Frage, ob ein solcher Umgang dem Kindeswohl dienlich wäre, bei dem Beschwerdeführer Kummer ausgelöst haben muss, der durch die Feststellung der Konventionsverletzung allein nicht angemessen wieder gutgemacht wird. Daher spricht der Gerichtshof, der die Summe nach Billigkeit festsetzt, dem Beschwerdeführer unter dieser Rubrik 5.000 EUR zuzüglich gegebenenfalls zu berechnender Steuern zu.

B. Kosten und Auslagen

78. Der Beschwerdeführer forderte zudem 1.685,27 EUR für Kosten und Auslagen für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, das er angestrengt habe, um eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland zu erhalten und somit seine Kinder sehen zu können. Darüber hinaus forderte er 2.262,39 EUR für Kosten und Auslagen für das Verfahren vor den Zivilgerichten. Diese Kosten würden momentan durch die ihm gewährte Prozesskostenhilfe getragen werden, die er jedoch möglicherweise zurückzahlen müsse. Zudem forderte er die Erstattung von 2.015,38 EUR für Kosten und Auslagen für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und weitere 2.015,38 EUR für Kosten und Auslagen für das Verfahren vor dem Gerichtshof. In allen geforderten Beträgen ist die Mehrwertsteuer enthalten.

79. Die Regierung hat sich zu dieser Frage nicht geäußert.

80. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat ein Beschwerdeführer nur insoweit Anspruch auf Ersatz von Kosten und Auslagen, als nachgewiesen wurde, dass diese tatsächlich und notwendigerweise entstanden sind und der Höhe nach angemessen waren. In der vorliegenden Rechtssache weist der Gerichtshof unter Berücksichtigung der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der oben genannten Kriterien die Forderung nach Erstattung der in dem innerstaatlichen Verfahren entstanden Kosten und Auslagen zurück, sofern sie sich auf die Verfahren vor den Zivil- und den Verwaltungsgerichten beziehen, da der Beschwerdeführer, dem Prozesskostenhilfe gewährt worden war, nicht nachgewiesen hat, dass ihm diese Kosten tatsächlich entstanden sind. Die Kosten und Auslagen für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, das darauf abzielte, die Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers aus Artikel 8 wieder gutzumachen, und für das Verfahren vor dem Gerichtshof sind jedoch tatsächlich und notwendigerweise entstanden und waren der Höhe nach angemessen. Der Gerichtshof spricht dem Beschwerdeführer daher den Betrag von 4.030,76 EUR (einschl. Mehrwertsteuer) für Kosten und Auslagen, die ihm in den innerstaatlichen Verfahren und in dem Verfahren vor dem Gerichtshof entstanden sind, zuzüglich der ihm gegebenenfalls zu berechnenden Steuern zu.

C. Verzugszinsen

81. Der Gerichtshof hält es für angemessen, für die Berechnung der Verzugszinsen den Spitzenrefinanzierungssatz (marginal lending rate) der Europäischen Zentralbank zuzüglich drei Prozentpunkten zugrunde zu legen.

AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:

1. Artikel 8 der Konvention ist verletzt worden;

2. (a) der beschwerdegegnerische Staat hat dem Beschwerdeführer binnen drei Monaten nach dem Tag, an dem das Urteil nach Artikel 44 Abs. 2 der Konvention endgültig wird, folgende Beträge zu zahlen:
(i) 5.000 EUR (fünftausend Euro) für immateriellen Schaden, zuzüglich gegebenenfalls zu berechnender Steuern;
(ii) 4.030,76 Euro (viertausenddreißig Euro und sechsundsiebzig Cent) für Kosten und Auslagen, zuzüglich der dem Beschwerdeführer gegebenenfalls zu berechnenden Steuern;
(b) nach Ablauf der vorgenannten Frist von drei Monaten bis zur Auszahlung fallen für die oben genannten Beträge einfache Zinsen in Höhe eines Zinssatzes an, der dem Spitzenrefinanzierungssatz (marginal lending rate) der Europäischen Zentralbank im Verzugszeitraum zuzüglich drei Prozentpunkten entspricht;

3. die Forderung des Beschwerdeführers nach gerechter Entschädigung wird im Übrigen zurückgewiesen.

Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 21. Dezember 2010 nach Artikel 77 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

Das Urteil

Das Urteil Anayo gegen Deutschland des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom 21.12.2010 ist hier im Original zu lesen.