EGMR Elsholz gegen Deutschland

13.07.2000 Elzholz gegen Deutschland
Elsholz gegen Deutschland (Große Kammer)
Beschwerdenr./Aktenzahl: 25735/94

Im Fall Elsholz klagte der Vater das Recht auf Umgang mit seinem Sohn beim Familiengericht ein. Dies wurde aber über Jahre verweigert, bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland aufhob. Prikär an der Entscheidung ist, dass im Anschluss das Familiengericht den Umgang dennoch nicht geregelt hat und es so keinen Umgang gab.

Durch den Fall Hageböke (Umgangsboykott über zwei Jahre) und den öffentlichen Aktionen hat DER SPIEGEL die Titelstory "Scheidungskrieg - Beutekind" in der Ausgabe vom 25.02.2004 gebracht.

Erst nach diesem Bericht war die allein sorgeberechtigte Mutter bereit den Kontakt zwischen den nunmehr 14-jährigen Sohn und seinem Vater zu ermöglichen. Heute pflegen der Vater und Sohn einen guten Kontakt.

DER SPIEGEL 22.02.2004

Im Scheidungsdrama werden Kinder zu Opfern: Aus Rache und Hass verwehren vor allem Mütter ihren Ex-Partnern jeden Kontakt mit ihnen. In neuen Studien belegen Psychologen die fatalen Folgen des "Entfremdungssyndroms", Juristen wollen jetzt die Rechte der Väter stärken.
Ihren Vater hat Anna, 2, zuletzt vor vier Monaten auf einem Parkplatz gesehen. Doch das kleine Mädchen hat vermutlich nicht einmal verstanden, dass der Unbekannte, der da freundlich in das Auto blinzelte, in dem es mit seinem drei Jahre älteren Halbbruder Conrad saß, sein Papa war. Denn ehe Thomas H., 37, auch nur die Tür des Wagens öffnen und die Kinder begrüßen konnte, war seine geschiedene Frau schon weggefahren. Statt Küsse mit den Kleinen tauscht der verzweifelte Vater nun wieder juristische Schriftsätze mit seiner Ex-Frau aus. 
Begonnen hatte der Ehekrieg im Juni vor zwei Jahren. Morgens war der Diplominformatiker, so erzählt er, noch ahnungslos zur Arbeit gefahren, abends fand er Frau und Kinder nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung vor. Was Thomas H. bis heute besonders erbost: Nur wenige Tage zuvor war seine Adoption des kleinen Sohnes Conrad aus der ersten Ehe seiner Frau rechtskräftig geworden. Außer bei dem gescheiterten Treffen auf dem Parkplatz hat er Sohn und Tochter bis heute nie wieder gesehen. Briefe werden nicht beantwortet, für Geschenke gibt es kein Danke, und inzwischen kennt er nicht einmal mehr die Telefonnummer, unter der er Anna und Conrad erreichen könnte. 
"Sie will nicht, dass ich die Kinder sehe, und deshalb habe ich keine Chance", sagt der Vater verbittert. Als Begründung gibt seine Ex-Frau an, ihr Mann habe sie geschlagen. 
Die Frau, das arme geprügelte Opfer? Der kaltschnäuzige Kinderklau eine Befreiungstat, weil dem Vater nicht zu trauen ist? Solche Schauergeschichten, die auch den Fall des angeblich prügelnden Diplominformatikers in grelle Farben tauchen, gehören zum Arsenal eines abertausendfach geführten Kampfes, in dem alle verlieren – vor allem die Kinder. 
Auf der Suche nach einem Ausweg besuchte Thomas H. seinen Vorgänger, den Vater des kleinen Conrad. Er stellte fest: Auch diesen Mann hatte die Frau eines Tages plötzlich verlassen, auch er hatte jahrelang Unterhalt bezahlt, ohne seinen Sohn je wieder zu sehen. Und auch ihm war vorgeworfen worden, er sei ein Schläger. Die auffallenden Parallelen in beiden Fällen interessieren bis heute niemanden, weder das Jugendamt noch den zuständigen Richter. So zahlt Thomas H. für zwei Kinder, die er nicht sieht, 550 Euro monatlich Unterhalt; seine Ex-Partnerin, die sich ausschließlich vor Gericht auseinander setzen möchte, hat Anspruch auf 430 Euro. 
Lange fanden sich die Väter mehr oder weniger klaglos damit ab, nach dem Ende der Ehe auch aus dem Leben ihrer Kinder zu verschwinden. Vielen erschien die Rolle des passiven Zahlvaters sogar als bequem, konnten sie doch so alle Energie neuen Lebensabenteuern widmen. 
Seit sich jedoch immer mehr Männer mit der traditionellen Arbeitsteilung nicht länger zufrieden geben, hat sich das Selbstverständnis dramatisch gewandelt: Die neuen Väter verlangen vehement, auch nach einer Trennung so viel wie möglich mit ihren Kindern zusammen zu sein. 
Sie bestürmen Justizminister, demonstrieren und prozessieren. Ihre Klagen finden zunehmend bei Juristen und Psychologen Gehör. Auf zahlreichen Tagungen, etwa jüngst wieder auf dem Deutschen Familiengerichtstag, suchen Fachleute nach neuen Lösungen, wie das Recht der Kinder auch auf ihre Väter besser gesichert werden könnte. 
Denn Scheidungen gehören mehr denn je zum bundesdeutschen Alltag. Mittlerweile wird jede dritte Ehe aufgelöst. Doch von diesen nüchternen Zahlen geht keinerlei abschreckende Wirkung aus. Hoffnungsvoll stürzen sich Menschen jeden Alters in das Abenteuer Ehe, unerschütterlich scheint er zu sein, der Wunschtraum von der einzigen Liebe, die der öffentlich besiegelte Bund heiligen soll. Die Sehnsucht nach einer problemlosen, individuellen Partnerschaft ist im 21. Jahrhundert ungebrochen; ebenso die Gewissheit, dass einem die glückliche Ausnahme gelingt. 
Und wenn sich der Treueschwur nicht halten lässt, wenn einen kleine und große Fluchten plötzlich hinaustreiben aus zu eng empfundenen Verhältnissen? Kein Problem. Ein Leben, viele Ehen, was soll daran verkehrt sein? Vorbilder sind den einen internationale Stars, andere blicken eher auf Gerhard Schröder oder Joschka Fischer, die beide schon viermal endgültig Ja sagten. 
Der Neubeginn mit einem anderen Partner bedarf einer gewissen Unbekümmertheit und des Vertrauens, dass es diesmal klappt. Das allerdings setzt eine konstruktive Trennung voraus, und die schaffen bei weitem nicht alle. "Viele plumpsen da so rein", sagt die Psychologin Brigitte Grosser aus Norderstedt bei Hamburg. 
Jeder Scheidung, so simpel wie wahr, geht ein Prozess voraus. Den meisten fällt schon die Phase der "Entidealisierung" schwer, die Zeit der zwangsläufigen Entzauberung, die jede Beziehung irgendwann ereilt. Ein Paar muss aushalten, dass es sich wechselseitig enttäuscht in all den grandios übersteigerten Erwartungen, die zu Beginn jeder Liebe aufscheinen. Auch Entwicklungen können das Zweisamkeitsgefüge gefährden: Wenn einer Neues beginnen will, der andere aber lieber weitermachen möchte wie bisher, kann es zu schweren Auseinandersetzungen kommen. 
"Die Durchschnittstoleranz entscheidet über das Schicksal einer Ehe, nicht die Höhenflüge", sagt der Münchner Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer. Ist diese Toleranz nur schwach entwickelt, kracht es früher oder später. Nicht selten bringt eine heimliche Zweitbeziehung das Scheidungsszenario ins Rollen. Dann setzt ein mörderischer Kleinkrieg ein, noch bevor es zum Bruch kommt: Der andere wird - ungeachtet der früheren Begeisterung - gnadenlos entwertet, er ist der Sündenbock - man selbst versucht, als Unschuldslamm zu erscheinen. 
Derlei Abläufe sind nun auch in neuer Form im Fernsehen zu besichtigen: "Ich lass mich scheiden" heißt eine Serie, die das ZDF ausgerechnet am Valentinstag startete. An zwölf Tagen dürfen nun 45 Minuten lang Frauen wie Männer ihre Kränkungen und Schuldzuweisungen vor der Kamera hochkochen und im Gezocke um Geld und Kinder ihre Anwälte aufeinander hetzen. Damit es schön demokratisch zugeht, werden auch Freunde und Kinder der Streithähne befragt. Es gehe um "das Jawort zur Trennung - wie bei der Hochzeit, so emotional, so entschieden, eben nur umgekehrt", erklärte das ZDF. Auch solle die Unterhaltungssendung, in der die Anwälte echt sind, die übrigen Personen aber von Schauspielern verkörpert werden, "komische Elemente" darbieten, weil Trennungen zwar eine ernste Sache seien, "aber eben auch Teil des Lebens". Deshalb könnten sie "durchaus mit Charme, Humor und Augenzwinkern erzählt werden". Das ist in der ersten Sendung gründlich misslungen. Sie war peinlich bis lächerlich. 
Wie schwierig es ist, gemeinsam Eltern zu bleiben nach der Trennung, vor allem wenn neue Partner auftauchen, haben schon Filmklassiker wie "Kramer gegen Kramer" vorgeführt. Im wahren Leben geht es meist weder amüsant noch heroisch zu. Für die betroffenen Kinder - allein im Jahr 2000 rund 150.000 Heranwachsende unter 18 Jahren - beginnt mit der Scheidung der Eltern oft ein Drama, das sie ihr Leben lang verfolgen wird. Vor allem dann, wenn ihnen mit der Trennung ein Elternteil völlig verloren geht, und das ist bei jedem zweiten Scheidungskind der Fall. Meist ist es wie bei Anna und Conrad der Vater, der für Tochter oder Sohn zu einem Fremden wird. 
Besonders hart und erbarmunglos wird häufig auf einem vermeintlichen Nebenschauplatz gekämpft - dem Umgangsrecht. Wenn es darum geht, ihre Kinder gegen den Ex-Partner zu instrumentalisieren, sind auch Männer manchmal nicht zimperlich. Seit fast acht Jahren hat Catherine Meyer, die Frau des britischen Botschafters in Washington, so gut wie keinen Kontakt mehr zu ihren Söhnen aus erster Ehe. Der deutsche Vater hatte die Kinder nach einem Ferienaufenthalt nicht wieder zu ihr nach London zurückgeschickt. Versuche in den folgenden Jahren, die Liebe ihrer Kinder zurückzugewinnen, scheiterten. Die beiden Jungen, behauptete der Vater, wollten ihre Mutter nicht mehr sehen. Meistens jedoch sind es die Väter, die aussortiert werden, auch weil Gerichte und Jugendämter immer noch gern der fragwürdigen Ideologie folgen: Alle Macht den Müttern. Das Ergebnis ist eine Praxis, die sich männer-, vor allem aber kinderfeindlich auswirkt: Die Frau verfügt, der Mann bezahlt, auf die Bedürfnisse der Sprösslinge achtet niemand. Allzu oft stehen die Rechte der Väter nur auf dem Papier, während die Ehefrau für ihre Anschuldigungen nicht einmal Beweise vorlegen muss. Was den Erzeugern bleibt, während sie - oft jahrelang - ihre Kinder nicht sehen, ist: hoffen und sich durch sämtliche Instanzen klagen. Ihren Kindern werden sie immer fremder - die versäumte gemeinsame Lebenszeit können sie nie wieder nachholen. 
Zunächst waren es vor allem die Väter aus binationalen Ehen, die auf ihr Schicksal aufmerksam machten, etwa vergangenen Sommer mit einem Hungerstreik auf dem Alexanderplatz in Berlin. Inzwischen werden auch immer mehr inländische Fälle von Kindesentzug bekannt, protestieren auch deutsche Väter - sowie vereinzelte Mütter - lautstark, wenn ihnen ihre Ex-Partner Besuchsrechte verweigern. 
"Der Kampf um die Kinder", hat der Hamburger Fachanwalt für Familienrecht Gerd Uecker beobachtet, "ist härter geworden, weil die klassische Rollenverteilung verschwindet". Das Schlagwort von der vaterlosen Gesellschaft stimme "weniger denn je", erklärt der Bamberger Familienforscher Laszlo Vaskovics. Schon macht in Fachkreisen das Wort von einer "Refamilialisierung des Mannes" die Runde. Wer sich die Liebe von Zweijährigen erhalten will, kann nicht Jahre
auf ein Gerichtsurteil warten. Sicher, es gibt all zu oft auch die anderen noch, Männer, die nicht oder nur mürrisch den Unterhalt für ihre Kinder und Ex-Frauen zahlen; und es gibt auch jene, die sich nach der Trennung von ihren Kindern abwenden, sich gleichgültig und lieblos zeigen. Mit 1,5 Milliarden Mark sprang der Staat im vergangenen Jahr bei Unterhaltszahlungen ein, weil sich Eltern, meistens Väter, entziehen und etwa auf Nimmerwiedersehen ins Ausland verschwinden.
Doch immer mehr Männer sehen eine Scheidung vielleicht als Betriebsunfall auf dem Lebensweg, als kleinen bis mittleren Schicksalsschlag, aber keinesfalls als Grund, den Kindern die Beziehung aufzukündigen. Juristisch ist ihre Position besser denn je: Das neue, seit 1998 geltende Kindschaftsrecht sichert dem Kind den Anspruch auf Umgang mit beiden Eltern, ob verheiratet oder nicht. Dieses Recht können Tochter und Sohn, wenn sie wollen, sogar einklagen. 
Was in der Theorie vernünftig klingt, führt im Trennungsalltag, wenn Verlustängste und Rachegefühle die Oberhand gewinnen, oft zu erbitterten Stellungskriegen um jeden noch so kleinen Besuchstermin. In 15 bis 20 Prozent aller zerbrechenden Partnerschaften, hat die Familientherapeutin Ursula Kodjoe festgestellt, "kommt es zu dramatischen Konflikten, die die Entwicklung der Kinder erheblich gefährden". Kodjoe beobachtet frühkindliche Störungen ebenso wie gravierende Einbußen beim Selbstwertgefühl oder eine oft lebenslange Beziehungsunfähigkeit. 
"Die Kinder haben kein Modell für eine gelungene Paarbeziehung", erklärt die Spezialistin. In schlimmen Fällen könne "die Ausgrenzung eines Elternteils durch Entfremdung über Generationen weitergegeben werden". 
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch die amerikanischen Wissenschaftlerinnen Judith Wallerstein und Julia Lewis, die in einer 25 Jahre dauernden Studie die langfristigen Folgen von Scheidungen untersucht haben. Als Erwachsene, so Wallerstein/Lewis, befinden sich Scheidungskinder in einem emotionalen Dilemma. Sie schwanken zwischen ihrer Sehnsucht nach Bindung und einer intensiven Angst, in Liebesdingen zu scheitern wie ihre Eltern. Tatsächlich werden überdurchschnittlich oft aus Scheidungskindern wieder Scheidungsopfer. Ein hoher Prozentsatz der von Wallerstein/Lewis untersuchten Scheidungskinder heiratete früh und ließ sich wieder scheiden. 
Die Hamburger Soziologin Anneke Napp-Peters, die in Deutschland 150 Scheidungsfamilien zwölf Jahre lang beobachtet hat, ist überzeugt, dass jede Scheidung kurzfristige Symptome bei Kindern gleich welchen Alters hervorruft. Langfristig jedoch bestimme nicht die Trennungsphase darüber, ob Kinder später als Erwachsene stabile Beziehungen aufbauen können. Napp-Peters: "Ausschlaggebend sind vielmehr der Familienstil, der Umgang der Familienmitglieder untereinander, und hier vor allem die Beziehungen und elterlichen Aktivitäten nach der Scheidung", die es jedem Partner erlauben, "verantwortlich am Leben seiner Kinder teilzunehmen". 
Die Wirklichkeit sieht anders aus - und trifft die Geschlechter in unterschiedlicher Weise. Jungen, so legt Napp-Peters in ihrer Studie dar, leiden häufiger als Mädchen unter Schulängsten und Lernschwierigkeiten. Auf die Trennung der Eltern reagieren sie mit destruktivem Verhalten, sie verlegen sich aufs Klauen, bekommen Wutanfälle, quälen Tiere, lügen notorisch oder laufen weg. 
Bei den Mädchen zeigen sich die emotionalen Folgen subtiler. Sie behalten ihren Kummer meist für sich, leiden aber unter depressiven Gefühlen, können sich nur schlecht konzentrieren und bekommen Probleme in der Schule. All diese kindlichen Reaktionen treten häufig nur vorübergehend auf, sie verschwinden, sobald die Kinder sich mit der neuen Lebenssituation arrangiert haben. 
So lautet das wirklich alarmierende Fazit der Studie: Bei jedem zweiten Kind mit anhaltenden Störungen - etwa Alkohol- und Drogenprobleme - bestand schon bald nach der Scheidung kein Kontakt mehr zum nichtsorgeberechtigten Elternteil. 
Markus Molnár war acht Jahre alt, als der Vater aus seinem Leben herausgedrängt wurde. Seine Enttäuschungen und Selbstzweifel konnte der heute 23-Jährige nur mit therapeutischer Hilfe verarbeiten. Zu Hause herrschte ein richtiger "Bandenkrieg" gegen seinen Vater, erinnert sich Molnár ist (siehe Seite 130). 
Auch bei verstoßenen Männern verursachen die Misserfolge im Kampf um ihre Kinder seelische Blessuren. "Ich habe hier oft Väter in schlimmster psychologischer Verfassung", sagt Psychologin Grosser. Ein Wunder ist das nicht, denn für die ausgemusterten Väter beginnt mit der Trennung von ihren Kindern ein Wettrennen gegen die Zeit - und das ist kaum zu gewinnen. Wer sich die Liebe von Zwei- oder Dreijährigen erhalten will, kann nicht Jahre auf ein Gerichtsurteil warten. Genau das ist aber vor deutschen Familiengerichten derzeit die Praxis. 
Gutachter und Richter sind ständig überlastet. Allein vor den Berliner Familiengerichten hat sich die Zahl der Fälle von 1998 bis 2000 um neun Prozent erhöht. Statt zügig einen Termin zu bekommen, müssen Betroffene Monate warten, bis sie ihre Beschwerde überhaupt vortragen können. Eine "ordnungsgemäße Bearbeitung", teilte ein Berliner Richter kürzlich einem klagenden Elternteil mit, sei "derzeit leider nicht möglich". 
Seit neun Monaten, sagt Thomas H., warte er, dass ein Gutachter den Seelenzustand von Anna und Conrad analysiert. "Es wird verschleppt und verschleppt", klagt der genervte Vater, "und irgendwann werden die Richter mir dann sagen, was wollen Sie eigentlich, Ihre Kinder kennen sie doch gar nicht mehr." 
Der fünfjährige Conrad aus der ersten Ehe der Mutter zeigt nach ihren Aussagen deutliche Wahrnehmungs- und Entwicklungsstörungen. Der Junge erlebt den Trennungsschmerz nun schon zum zweiten Mal. Das Amtsgericht Neustadt am Rübenberge scheint davon ungerührt. Statt auf die Mutter einzuwirken, nahm es Thomas H. im Mai vergangenen Jahres das Sorgerecht. Es könne "dahingestellt bleiben", heißt es in dem Beschluss, "aus welchen Gründen die Mutter jeglichen Kontakt" zu ihm ablehne. Das alleinige Sorgerecht für seine Ex-Frau diene dem Kindeswohl am besten. 
Väter, denen es endlich doch gelungen ist, ihr Besuchsrecht gerichtlich durchzusetzen, sind oft nicht besser dran. Immer wieder beobachtet Katharina Behrend, psychologische Sachverständige aus Lemgo, "dass sich Eltern auf Besuchstermine geeinigt haben, und dennoch hat der Vater das Kind Jahre nicht gesehen". Manchmal reicht es schon, dass die Mutter betont, wie traurig sie ist, um den Sohn oder die Tochter in erhebliche Loyalitätskonflikte zu stürzen. Aus den Treffen mit dem Vater wird dann nie etwas. 
Zwar könnten die Gerichte Zwangsgeld gegen denjenigen verhängen, der geschickt das Recht des anderen zu unterlaufen weiß. Im Extremfall stünde sogar das Sorgerecht zur Disposition. Doch anders als in den USA und vielen europäischen Nachbarländern, in denen bei anhaltender Renitenz sogar Haftstrafen drohen, bleibt in Deutschland der Widerstand gegen Anordnungen der Familiengerichte meist ungeahndet. 
Wie im Fall des Versicherungsvertreters Matthias Kessler, 42. Seine Frau verließ ihn samt dem 14 Monate alten Baby und zog zu ihren Eltern, die 650 Kilometer entfernt wohnten. Mit Mühe erhielt Kessler das Recht, seinen Sohn alle drei Wochen für drei Stunden zu sehen. Er fuhr, zur Überraschung seiner Frau, regelmäßig 650 Kilometer hin, spielte drei Stunden mit seinem Sohn und fuhr die 650 Kilometer wieder nach Hause. Damit, so sagt er, "hat meine Ex-Frau nicht gerechnet". Er wollte seinen Sohn häufiger sehen, doch Besuche zwischendurch waren unmöglich. Mal hieß es, das Kind sei krank, mal hatte seine Frau in letzter Minute etwas anderes mit dem Jungen geplant, dann wieder war Ostern. Oft, so der Verdacht des Vaters, wollte sie einfach nicht, dass der Sohn ihn sah. "Weisen Sie nach, dass die Mutter das Kind missbraucht. Sonst haben Sie keine Chance. Die Ohnmachtsgefühle, die Kessler damals empfand, machen ihm heute noch zu schaffen. Hinzu kam das Verhalten seiner Ex-Schwiegereltern, die ihm deutlich machten: Du zahlst, den Kleinen haben wir eingesackt, unsere Tochter ist auch wieder bei uns, und wenn du einen falschen Schritt machst, kriegst du das Kind gar nicht mehr zu sehen. Kessler: "Ich fühlte mich wie durch den Fleischwolf gedreht." Zunächst dachte er noch, im Jahr der Trennung sei alles vorläufig. "Quatsch!", sagt er heute erbittert. "Da werden die Weichen wunderbar gestellt. Heute wäre ich schlauer." Kessler, der sich inzwischen ebenso wie Thomas H. bei der bundesweit organisierten Gruppe "Väteraufbruch für Kinder" engagiert, hätte damals gern das Sorgerecht für sich beansprucht. Doch sein Anwalt machte ihm klar, dass seine Ex-Frau alle Trümpfe in der Hand hatte. Der sarkastische Ratschlag des Juristen lautete: "Weisen Sie nach, dass die Mutter das Kind schwer misshandelt oder missbraucht oder dass sie drogenabhängig ist. Sonst haben Sie keine Chance." Die Besuchsregelung wurde schließlich auf drei Stunden alle 14 Tage erweitert, und inzwischen ist Kessler in die Nähe seines Sohnes gezogen. Ihr Verhältnis ist gut. Sein Engagement bei "Väteraufbruch" findet er weiterhin wichtig, er betreibt es vehement, "damit gesellschaftlich endlich etwas in Bewegung kommt". 
Familienrechtler und Psychologen zeigen sich mittlerweile sensibel für das, was Kessler und andere Väter durchmachen. Sie sprechen von einer massenhaften Verletzung der verbürgten Menschenrechte. "Für manche entfremdeten Eltern", sagt der amerikanische Psychiater Richard Gardner, "ist der ständige Schmerz eine Art lebender Tod des Herzens." 

Nur auf deutschen Richterbänken findet diese Botschaft bisher wenig Gehör. In vier Urteilen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits die hiesige Praxis scharf kritisiert. Der erste Fall, der damit Rechtsgeschichte schrieb, war der des 54-jährigen Egbert Elsholz. Der Hamburger hatte über zehn Jahre vergebens versucht, sich ein Besuchsrecht bei seinem unehelichen Sohn Carsten zu sichern. Weil die Mutter des Jungen jeden Kontakt abblockte, wiesen deutsche Gerichte und Ämter den Mann immer wieder ab. Damit aber, urteilten die Straßburger Richter, haben sie das Recht des Vaters auf Familienleben und ein faires Verfahren verletzt. Zur Strafe musste die Bundesrepublik 35.000 Mark an Elsholz zahlen. Ein juristischer Erfolg - seinen Sohn hat er möglicherweise dennoch verloren. An einem Kontakt mit ihm, teilte der 15jährige Junge dem Vater brieflich mit, sei er nicht interessiert.
Scheiden tut weh - mitunter lange. Und jede Scheidung ist eine unendliche Geschichte, wenn Kinder als Faustpfand eingesetzt und in der Trennungsschlacht verheizt werden. "Um das verletzte Selbst in Sicherheit zu bringen, wird die ganze Schuld dem Partner angelastet", weiß Familienexpertin Kodjoe. Da gebärden sich viele Mütter als Racheengel, die ihre Kinder als ihr Eigentum betrachten und sie - in fataler Indoktrination – zu Verbündeten machen. Ihnen selbst fällt die Gefühlsmanipulation nicht einmal auf. Sie fühlen sich im Recht. 
"Ich will meinen Vater nicht sehen", trumpfte beispielsweise die neunjährige Violetta am Richtertisch in Köln bei einer Befragung auf. Sie erklärte das nicht zum ersten Mal, sie hatte es bereits kurz nach der Trennung behauptet. Inzwischen hat Violetta ihren Vater bereits drei Jahre lang kaum gesehen. Ihre Mutter, eine Kölner Sekretärin, leugnet nicht, ihre Tochter beeinflusst zu haben, keinerlei schlechtes Gewissen plagt sie dabei. "Er hat mich sitzen lassen wegen einer Jüngeren", sagt sie. "Warum sollte ich ihm jetzt mein Liebstes anvertrauen?" Der Schmerz, der solche Egozentrik nährt, mag verständlich sein. Aber wieso kann ein Mädchen bereits wenige Wochen nach der Trennung von seinem Vater, mit dem es vorher in Einklang lebte, so etwas von sich geben, ohne dass Jugendamt und Richter hellhörig werden? Die Liebe des Kindes nicht teilen zu müssen ist ein machtvolles Motiv. Es erscheint verlockend, sich zu rächen, zu strafen, den anderen für das Scheitern der Ehe verantwortlich zu machen und ihn zu entsorgen, getreu dem Grundsatz: als Partner versagt, also auch als Elternteil unzureichend und letztlich verzichtbar. Zeitweilige oder systematische Ausgrenzung führt häufig zu Entfremdung, die Kinder in Loyalitätsverwirrung stürzt, ihre Liebe missbraucht und ihren Willen bricht. Die scheinbar freien Äußerungen werden vor Gericht nicht selten naiv missinterpretiert. 
Parental Alienation Syndrome (PAS) - zu Deutsch: Syndrom der Elternentfremdung - nennen die Psychologen diese massive Beeinflussung, die Gardner seit den achtziger Jahren erforscht. Er und amerikanische Kollegen vergleichen den Vorgang mit Gehirnwäsche oder jener Art von Programmierung, wie Sekten sie anwenden. Das Problem der Entfremdung mit all ihren Folgen wurde bisher von Eltern, Sozialarbeitern, Rechtsanwälten und Gutachtern unterschätzt. So hatte der Hamburger Vater Elsholz allen Grund, sich Sorgen zu machen, als sein damals siebenjähriger Sohn 1993 vor Gericht zu Protokoll gab, sein Vater sei "böse" und "doof". Er wolle ihn deshalb auf keinen Fall wieder sehen: "Mutti sagt immer, Egbert ist gar nicht mein Vater." Die Richter machte die aggressive Abwehr, die so typisch ist für PAS-geschädigte Kinder, nicht stutzig. Statt auf die Einwände des Vaters zu hören, wiesen sie Elsholz immer wieder ab. 
In unseren Nachbarländern löst das deutsche Problem mit dem Umgangsrecht nur Kopfschütteln aus. Ein konsequenter Umgangsboykott mit entsprechender Herabsetzung des anderen stürzt ein Kind in Loyalitätskonflikte. Kinder müssten ihre Eltern als Team erfahren, das zusammenarbeitet, auch wenn die Liebe nicht mehr funktioniert, fordert Therapeut Schmidbauer, sie müssten erleben, dass die Eltern sich austauschen und respektieren, dass sie nicht unter dem Müll der gescheiterten Liebesbeziehung ersticken, sondern ihn wegräumen, um den Kindern Platz zum Atmen zu verschaffen. Solche verantwortlichen Umgangsformen mit einer gescheiterten Ehe sind für die Kinder günstiger als das Festhalten an einer für alle quälenden Beziehung. 
Ausgrenzende Mütter und Väter, die über ihre Kränkungen nicht hinwegkommen, geraten spätestens in der Pubertät ihrer Kinder in üblen Stress, prophezeit Schmidbauer. Die Pubertät ist die Zeit, in der Teenager normalerweise ihre Eltern entidealisieren. Wie aber soll sich ein Kind von einer Mutter lösen, die es nach der Scheidung total an sich gebunden hat? Häufig falle es ins Bodenlose, so Schmidbauer, es müsse die Beziehung regelrecht kaputtmachen, um sich zu befreien. Ganz selten einmal, etwa bei sexuellem Missbrauch, ist es für ein Kind notwendig, wenn es vor einem Elternteil geschützt wird. In den meisten Fällen aber schädigen Mütter und Väter, die die andere Bezugsperson des Kindes eliminieren, sich selbst und das Kind. Verwandte und Freunde, die gegen den oder die "Ex" hetzen, werden zu Komplizen in einem destruktiven Prozess. Stattdessen rät Schmidbauer seinen Klienten zu einer Art Arbeitsverhältnis nach der Ehe: Selbst wenig Kontakt ist sehr viel besser als gar kein Kontakt. Der abwesende Elternteil sollte auf Stand-by schalten, verlässlich erreichbar sein über Telefon oder E-Mail, regelmäßig Geburtstagsgeschenke schicken, Urlaubsangebote machen. Dann werde der Kontakt zum Kind, prophezeit er, im Lauf der Zeit immer besser. 
Zwar hinkt die juristische Praxis in Deutschland hinterher, aber es gibt ja Europa. Die Justizminister der EU arbeiten mittlerweile daran, europaweit einheitliche Regelungen für Sorge- und Besuchsrecht zu vereinbaren. In unseren Nachbarländern, sagt der Offenbacher Familienanwalt Sven Fröhlich, "löst das deutsche Problem mit dem Umgangsrecht nur Kopfschütteln aus. Deutsche Juristen bekommen immer öfter von ihren euopäischen Kollegen vorgehalten: Ihr macht lange Verfahren mit Jugendamt und Sachverständigen, und dann wird gar nichts umgesetzt". 
Vorbild für eine bessere Praxis könnte Norwegen sein. Seit 1991 existiert dort ein wahrhaft salomonisches Verfahren: Um langfristiges juristisches Gezerre zu verhindern, müssen Eltern und Kinder an einer außergerichtlichen Schlichtung teilnehmen. Wer sich nicht an die getroffenen Vereinbarungen über den Umgang mit dem gemeinsamen Kind hält, kann auch nach Jahren noch das Sorgerecht verlieren. In einem Aufsehen erregenden Prozess entzog der norwegische Oberste Gerichtshof 1991 einer Mutter, die den Vater ihres siebenjährigen Sohnes über Jahre stets verteufelt und den Kontakt des Kindes mit ihm systematisch verhindert hatte, das Sorgerecht. Der Junge kam zum Vater, obgleich er den sechs Jahre lang nicht gesehen hatte. "Bei einer Gerichtsentscheidung", begründeten die norwegischen Richter ihr Urteil, "kann man nicht nur die unmittelbare Situation und die nächste Zukunft im Auge haben. Die Entscheidung hat Bedeutung für das Kind, bis es erwachsen wird, und in vielen Fällen noch länger." Der Osloer Rechtsprofessor Peter Lødrup sieht in der Praxis seines Heimatlandes, streitende Eltern im Zweifel zur Einsicht zu zwingen, einen weiteren Vorteil: "Hat die Mehrheit der Bevölkerung erst einmal die Einstellung, dass die gemeinsame elterliche Sorge das Normale nach einer Trennung ist", so Lødrup schon 1993 auf dem Deutschen Familiengerichtstag, "kann das auch dazu beitragen, dass eine Kooperationsbereitschaft zwischen den Eltern geschaffen wird." 
Noch lässt ein solcher Bewusstseinswandel in Deutschland auf sich warten. Ein knappes Jahrzehnt, schätzt Psychologin Grosser, werde es dauern, bis sich bei Gutachtern und Richtern, Eltern und Anwälten die Einsicht durchgesetzt habe, dass "ein Kind ein Grundrecht auf Vater und Mutter hat".Schlechte Aussichten für Thomas H. Der ausgesperrte Vater will dennoch nicht aufgeben. Eines Tages, glaubt er, werden "meine Kinder vor der Tür stehen und fragen: Papa, wo warst du eigentlich die ganze Zeit?" Dann, sagt er, "muss ich ihnen Rede und Antwort stehen, das bin ich ihnen schuldig". 
KAREN ANDRESEN, ANGELA GATTERBURG

Elsholz gegen Deutschland Beschwerde EGMR Nr. 25735/94

Art. 8 EMRK – Verweigerung des Umgangsrechts – Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft – gerechter Ausgleich – Kindeswohl – Einbindung in den Entscheidungsfindungsprozess – Art. 8 EMRK i.V.m. Art. 14 EMRK – unterschiedliche Behandlung von Vätern nichtehelicher und ehelicher Kinder – § 1711 Abs. 2 BGB a. F. – Art. 6 Abs. 1 EMRK – Gebot des fairen Verfahrens – verweigerte Einholung eines Sachverständigengutachtens – Fehlen einer Anhörung


Straßburg, den 13. Juli 2000

Dieses Urteil unterliegt noch der Schlussredaktion, bevor seine endgültige Fassung in der amtlichen Urteils- und Entscheidungssammlung des Gerichtshofes veröffentlicht wird. In der Rechtssache Elsholz . /. Deutschland ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als Große Kammer durch die folgenden Richter:

 

  • Herr L. WILDHABER, Präsident,
  • Frau E. PALM,
  • Herr J.-P. COSTA,
  • Herr L. FERRARI BRAVO,
  • Herr L. CAFLISCH,
  • Herr W. FUHRMANN,
  • Herr K. JUNGWIERT,
  • Herr J. CASADEVALL,
  • Herr B. ZUPANČIČ,
  • Herr J. HEDIGAN,
  • Frau W. THOMASSEN,
  • Frau M. TSATSA-NIKOLOVSKA,
  • Herr T. PANTÎRU,
  • Herr A.B. BAKA,
  • Herr E. LEVITS,
  • Herr K. TRAJA,
  • Herr R. MARUSTE, Richter
  • Frau M. DE BOER-BUQUICCHIO,

nach Beratung in nicht öffentlicher Sitzung am 1. März 2000 und am 14. Juni 2000 am letztgenannten Datum zu folgendem Urteil gelangt: VERFAHREN

1. Der Fall ist dem Gerichtshof gemäß den vor Inkrafttreten des Protokolls Nr. 11 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“)1 anzuwendenden Bestimmungen von der Europäischen Kommission für Menschenrechte („Kommission“) am 7. Juni 1999 und von einem deutschen Staatsangehörigen, Herrn E. E. („Beschwerdeführer“) am 25. Mai 1999 vorgelegt worden (Artikel 5 Abs. 4 des Protokolls Nr. 11 und die früheren Artikel 47 und 48 der Konvention).

2. Dem Fall liegt eine gegen Deutschland gerichtete Beschwerde (Nr. 25735/94) zugrunde, mit welcher der Beschwerdeführer die Kommission aufgrund des früheren Artikels 25 der Konvention am 31. Oktober 1994 befasst hatte.

3. Der Beschwerdeführer behauptete, der ihm verweigerte Umgang mit seinem nichtehelichen Sohn stelle eine Verletzung des Artikels 8 der Konvention dar. Als Vater eines nichtehelichen Kindes sei er unter Verletzung des Artikels 14 in Verbindung mit Artikel 8 der Konvention diskriminiert worden. Er rügte, das Verfahren vor den deutschen Gerichten sei nicht fair i.S.d. Art. 6 Abs. 1 der Konvention gewesen.

4. Die Kommission hat die Beschwerde am 30. Juni 1997 für teilweise zulässig erklärt. In ihrem Bericht vom 1. März 1999 (früherer Artikel 31 der Konvention) bringt sie zum Ausdruck, Artikel 14 der Konvention in Verbindung mit Artikel 8 sei verletzt worden (15 zu 12 Stimmen). Artikel 8 sei für sich betrachtet nicht tangiert (15 zu 12 Stimmen). Artikel 6 Abs. 1 sei verletzt worden (17 zu 10 Stimmen).2

5. Der Beschwerdeführer ist vor dem Gerichtshof durch Herrn Peter Koeppel, einem Anwalt aus München, vertreten worden. Die deutsche Regierung („die Regierung“) ist durch ihre Verfahrensbevollmächtigte, Frau H. Voelskow-Thies, Ministerialdirigentin im Bundesministerium der Justiz, vertreten worden.

6. Am 7. Juli 1999 entschied der Ausschuss der Großen Kammer, dass die Rechtssache von der Großen Kammer geprüft werden solle (Artikel 100 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes). Nachdem sich der für Deutschland gewählte Richter, Herr G. Ress, der an der Prüfung der Rechtssache in der Kommission teilgenommen hatte, für befangen erklärt hatte (Artikel 28), ist die Regierung aufgefordert worden mitzuteilen, ob sie einen Richter ad hoc (Artikel 27 Abs. 2 der Konvention sowie Artikel 29 Abs. 1 der Verfahrensordnung) benennen wolle. Da die Regierung nicht innerhalb von 30 Tagen antwortete, galt dies als Verzicht auf eine solche Benennung (Artikel 29 Abs. 2 der Verfahrensordnung). Folglich ist Herr Ress durch Herrn L. Ferrari Bravo, erster Ersatzrichter, in der Großen Kammer ersetzt worden (Artikel 24 Abs. 2 Buchstabe b der Verfahrensordnung).

7. Sowohl Beschwerdeführer als auch die Regierung haben Stellungnahmen vorgelegt.

8. Nach Beratung mit der Verfahrensbevollmächtigten und dem Anwalt des Beschwerdeführers, hat die Große Kammer beschlossen, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht notwendig ist (Artikel 59 Abs. 2 der Verfahrensordnung in fine). SACHVERHALT I. DIE UMSTÄNDE DES FALLES

9. Der 1947 geborene Beschwerdeführer ist deutscher Staatsangehöriger und lebt in H.. Er ist Vater des am 13. Dezember 1986 nichtehelich geborenen Kindes C. Am 9. Januar 1987 hat er die Vaterschaft anerkannt und sich zur Unterhaltsleistung für seinen Sohn verpflichtet. Dieser Unterhaltsverpflichtung ist er regelmäßig nachgekommen.

10. Der Beschwerdeführer lebte seit November 1985 mit der Mutter des Kindes und deren älterem Sohn Ch. zusammen. Im Juni 1988 zog die Mutter zusammen mit ihren beiden Kindern aus der Wohnung aus. Der Beschwerdeführer sah seinen Sohn weiterhin regelmäßig bis Juli 1991. Er verbrachte auch mehrfach seine Urlaube mit den beiden Kindern und deren Mutter. Danach fanden keine weiteren Besuchskontakte mehr statt.

11. Der Beschwerdeführer bemühte sich, seinen Sohn durch Vermittlung des Jugendamts Erkrath zu sehen. Bei einer Befragung durch einen Jugendamtsmitarbeiter im Dezember 1991 in der häuslichen Wohnung, äußerte C., dass er keinen weiteren Kontakt zum Beschwerdeführer wünsche.

12. Am 19. August 1992 beantragte der Beschwerdeführer beim Amtsgericht Mettmann die gerichtliche Regelung des Umgangs mit seinem Sohn, und zwar an jedem ersten Samstag im Monat zwischen 13 und 18 Uhr. Der Beschwerdeführer behauptete, dass die Mutter ihm den Umgang mit C. verweigert habe, da er ihr vorgeworfen habe, die Aufsichtspflicht gegenüber dem Kind verletzt zu haben, als dieses sich bei einem Unfall im Juli 1991 auf einem Spielplatz den Arm gebrochen hatte. Als Folge dieses Vorfalls habe er die monatlichen Zahlungen in Höhe von 700,- DM eingestellt, die er auf Bitten der Mutter über den festgesetzten Kindesunterhalt hinaus freiwillig geleistet habe. Die Mutter wies diese Behauptungen des Beschwerdeführers zurück und erklärte, dass dieser ihr gegenüber zwar immer sehr großzügig gewesen sei, ihr jedoch keinen Unterhalt gezahlt habe.

13. Nach der mündlichen Verhandlung vom 4. November 1992 und nach Anhörung des C. vom 9. November 1992 wies das Amtsgericht den Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 4. Dezember 1992 zurück. Das Gericht bemerkte, dass § 1711 Abs. 2 BGB über den persönlichen Umgang des Vaters mit seinem nichtehelichen Kind (s. Nr. 24 unten) als eng auszulegende Ausnahmebestimmung konzipiert sei. Folglich habe das zuständige Gericht einen solchen Kontakt nur dann zu beschließen, wenn er dem Kindeswohl nützlich und förderlich sei. Diese Voraussetzungen sah das Gericht im Fall des Beschwerdeführers als nicht gegeben an. Das Amtsgericht führte aus, dass das Kind angehört worden sei und dabei zum Ausdruck gebracht habe, dass es seinen Vater nicht mehr sehen wolle, der böse sei und seine Mutter mehrfach geschlagen habe. Auch habe die Mutter starke Vorbehalte gegen den Vater, die sie an das Kind weitergegeben habe, dem so kein Freiraum bleibe, ein unbefangenes Verhältnis zu seinem Vater aufzubauen. Das Amtsgericht schloss damit, dass Kontakte zum Vater dem Kindeswohl nicht dienlich seien.

14. Am 8. September 1993 beantragte der Beschwerdeführer beim Amtsgericht, der Kindesmutter aufzugeben, der Durchführung einer Familientherapie für ihn und seinen Sohn zuzustimmen, sowie die Umgangsregelung nach erfolgreicher Wiederanbahnung der Vater-Kind-Kontakte festzulegen.

15. Am 24. September 1993 empfahl das Jugendamt Erkrath dem Gericht, ein psychologisches Sachverständigengutachten zur Frage des Umgangsrechts einzuholen.

16. Nach Anhörung des C. am 8. Dezember 1993 wie der seiner Eltern in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 1993 wies das Amtsgericht den neuerlichen Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung eines Umgangrechts mit Beschluss vom 17. Dezember 1993 zurück. Hierbei bezog sich das Gericht auf seinen vorausgegangenen Beschluss vom 4. Dezember 1992 und vertrat die Auffassung, dass die Voraussetzungen gemäß § 1711 BGB nicht vorlägen. Es stellte fest, dass das Verhältnis des Beschwerdeführers zur Kindesmutter dermaßen gespannt sei, dass die Durchsetzung eines Umgangskontaktes nicht in Frage komme, da dies dem Kindeswohl nicht dienlich wäre. Das Kind kenne die Vorbehalte der Mutter gegen den Beschwerdeführer und habe sie verinnerlicht. Müsste C. gegen den Willen der Mutter mit dem Beschwerdeführer zusammen sein, würde er in einen Loyalitätskonflikt geraten, mit dem er nicht zurechtkäme und der sein Wohlbefinden gefährde. Das Gericht fügte hinzu, dass es nicht darauf ankomme, welcher Elternteil die Spannungen verursacht habe. Ausschlaggebend sei insbesondere, dass erhebliche Spannungen bestünden und zu befürchten sei, dass die Wiederaufnahme der Kontakte mit dem Vater die weitere ungestörte Entwicklung des Kindes in der Familie des sorgeberechtigten Elternteiles stören werde. Nach zwei längeren Gesprächen mit dem Kind gelangte das Amtsgericht zu der Überzeugung, dass die Entwicklung des Kindes gefährdet wäre, wenn es gegen den Willen der Mutter die Kontakte mit seinem Vater wieder aufnehmen müsse. Bei diesen Gesprächen hatte das Kind seinen Vater „böse“ oder „doof“ genannt und hinzugefügt, dass es ihn auf gar keinen Fall sehen wolle. Auch gab es an: „Mama sagt immer, dass Egbert nicht mein Vater ist. Mama hat Angst vor Egbert“. Das Amtsgericht war außerdem der Auffassung , dass der vorliegende Sachverhalt evident und vor dem Hintergrund des § 1711 BGB umfassend aufgeklärt sei, so dass es der Hilfe eines Sachverständigen nicht bedürfe.

17. Am 13. Januar 1994 legte der Beschwerdeführer durch einen Anwalt Beschwerde gegen diesen Beschluss ein und beantragte die Aufhebung dieses Beschlusses, die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage des Umgangs und des diesbezüglichen tatsächlichen Kindeswillens, sowie die entsprechende Festsetzung des väterlichen Umgangsrechtes.

18. Am 21. Januar 1994 wies das Landgericht Wuppertal ohne Anhörung die Beschwerde des Beschwerdeführers zurück. Hierbei stellte es zunächst fest, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Beschwerde bestünden, da der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 12. Januar 1994 das Gericht der ersten Instanz davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass er die Entscheidung dieses Gerichts respektiere und um Mithilfe bei einer einvernehmlichen Lösung bitte. Zudem war das Landgericht der Ansicht, dass die in der Beschwerde vorgebrachten Gründe nicht mit dem erstinstanzlichen Begehren des Beschwerdeführers in voller Übereinstimmung stünden. Das Landgericht ließ jedoch die Frage der Zulässigkeit der Beschwerde offen und beschloss, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung eines Umgangsrechtes zurückzuweisen sei, da dies nicht dem Wohle des Kindes diene. Es reiche nicht aus, dass solche Kontakte dem Kindeswohl entsprächen; sie hätten dem Kindeswohl nützlich und förderlich und zudem für das Kind seelisch notwendig zu sein. Die Frage, ob diese Voraussetzungen vorlägen, sei vom Standpunkt des Kindes aus unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zu entscheiden. In diesem Zusammenhang müsse unter anderem geprüft werden, aus welchen Gründen der Vater den Kontakt mit seinem Kind erstrebe, das heißt, ob seine Motive emotionaler Art seien oder ob andere Faktoren eine Rolle spielten. Hierbei sei auch das Verhältnis der Eltern zueinander zu berücksichtigen. as Landgericht gelangte im Einklang mit dem angefochtenen Beschluss zu der Schlussfolgerung, dass die Spannungen zwischen den Eltern negative Auswirkungen auf das Kind hätten, wie die Anhörungen des Kindes vom 9. November 1992 und vom 8. Dezember 1993 gezeigt hätten, und dass Kontakte mit dem Vater daher nicht dem Kindeswohle dienten, zumal diese Kontakte bereits etwa zweieinhalb Jahre unterbrochen gewesen seien. Hierbei sei es ohne Belang, wer für den Beziehungsabbruch verantwortlich sei. Es zähle allein, dass sich in der gegenwärtigen Situation Kontakte mit dem Vater negativ auf das Kind auswirken würden. Dieser Schluss war nach Meinung des Landgerichts eindeutig, so dass es der Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens nicht bedürfte. Zudem sehe § 1711 Abs. 2 BGB keine Psychotherapie vor, um ein Kind auf den Umgang mit seinem Vater vorzubereiten. Das Landgericht bemerkte abschließend, dass eine erneute Anhörung der Eltern sowie des Kindes nicht erforderlich sei, da nichts dafür ersichtlich sei, dass eine solche Anhörung dem Beschwerdeführer günstigere Erkenntnisse erbringen könnte.

19. Am 19. April 1994 hat das Bundesverfassungsgericht durch eine aus drei Richtern besetzte Kammer beschlossen, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers nicht zur Entscheidung anzunehmen. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes warf die Beschwerde keine Frage grundsätzlicher Bedeutung auf, welche die Achtung des Grundgesetzes beträfen. Insbesondere stelle sich nicht die Frage, ob § 1711 BGB mit dem in Artikel 6 Abs. 2 GG verankerten Recht auf ein Familienleben im Einklang sei, da die ordentlichen Gerichte den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung eines Umgangsrechts nicht allein mit der Begründung abgelehnt hätten, dass ein solches Recht dem Kindeswohl nicht dienlich sei, sondern auch mit der stärkeren Begründung, dass die Gewährung dieses Rechts mit dem Kindeswohl nicht vereinbar wäre. Weiterhin sei das Recht auf ein faires Verfahren nicht deshalb verletzt, weil der Beschwerdeführer nicht persönlich angehört worden und seinem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht entsprochen worden sei. II. DAS EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE RECHT A. Das derzeit geltende Familienrecht.

20. Die gesetzlichen Bestimmungen zum Sorge- und Umgangsrecht finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch. Sie sind mehrfach geändert und zahlreiche von ihnen mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997 (BGBl 1997, S. 2942), das am 1. Juli 1998 in Kraft getreten ist, aufgehoben worden.

21. § 1626 Abs. 1 lautet wie folgt:

„Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).

22. Gemäß dem neu eingefügten § 1626a Abs. 1 BGB üben die Eltern eines nichtehelichen Kindes die Sorge gemeinsam aus, wenn sie eine Erklärung dahingehend abgeben (Sorgeerklärungen) oder sie einander heiraten. Gemäß § 1684 n. F. hat ein Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil, wobei jeder Elternteil zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt ist. Außerdem haben die Eltern alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung des Kindes erschwert. Das Familiengericht kann über den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch gegenüber Dritten, näher regeln. Es kann die Beteiligten durch Anordnungen zur Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber dem Kind anhalten. Das Familiengericht kann dieses Recht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die dieses Recht für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Das Familiengericht kann anordnen, dass der Umgang stattfinden darf, wenn ein Dritter, z.B. ein Mitarbeiter des Jugendamtes oder eine Institution, anwesend ist.

B. Das im damaligen Zeitraum geltende Familienrecht

23. Vor Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes lautete die betreffende Bestimmung des BGB über das Sorge- und Umgangsrecht hinsichtlich eines nichtehelichen Kindes wie folgt:

§ 1634

„1. Ein Elternteil, dem die Personensorge nicht zusteht, behält die Befugnis zum persönlichen Umgang mit dem Kinde. Der Elternteil, dem die Personensorge nicht zusteht, und der Personensorgeberechtigte haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum anderen beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert.

2. Das Familiengericht kann über den Umfang der Befugnis entscheiden und ihre Ausübung, auch gegenüber Dritten, näher regeln; soweit es keine Bestimmung trifft, übt während der Dauer des Umgangs der nicht personensorgeberechtigte Elternteil das Recht nach § 1632 Abs. 2 aus. Das Familiengericht kann die Befugnis einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist.

3. Ein Elternteil, dem die Personensorge nicht zusteht, kann bei berechtigtem Interesse vom Personensorgeberechtigten Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes verlangen, soweit ihre Erteilung mit dem Wohle des Kindes vereinbar ist. Über Streitigkeiten, die das Recht auf Auskunft betreffen, entscheidet das Vormundschaftsgericht.

4. Steht beiden Eltern die Personensorge zu und leben sie nicht nur vorübergehend getrennt, so gelten die vorstehenden Vorschriften entsprechend“.

24. Die entsprechenden Bestimmungen des BGB über das Sorge- und Umgangsrecht hinsichtlich eines nichtehelichen Kindes lauten wie folgt:

§ 1705

„Das nichteheliche Kind steht, ..., unter der elterlichen Sorge der Mutter.“

§ 1711

„1. Derjenige, dem die Personensorge für das Kind zusteht, bestimmt den Umgang des Kindes mit dem Vater. § 1634 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend.

2. Wenn ein persönlicher Umgang des Vaters dem Wohle des Kindes dient, kann das Vormundschaftsgericht entscheiden, dass dem Vater die Befugnis zum persönlichen Umgang zusteht. § 1634 Abs. 2 gilt entsprechend. Das Vormundschaftsgericht kann seine Entscheidung jederzeit ändern.

3. Die Befugnis, Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes zu verlangen, bestimmt § 1634 Abs. 3.

4. In geeigneten Fällen soll das Jugendamt zwischen dem Vater und dem Sorgeberechtigten vermitteln“.

C. Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

25. Wie Verfahren in anderen Familienrechtssachen, unterlagen die Verfahren nach dem früheren § 1711 Abs. 2 BGB den Bestimmungen des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

26. Gemäß § 12 dieses Gesetzes soll das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufnehmen.

27. In Umgangsrechtsverfahren muss das zuständige Jugendamt vor einer Entscheidung gehört werden (§ 49 Abs. 1 Buchst. k).

28. Bezüglich der Anhörung der Eltern in Sorgerechtsverfahren bestimmt § 50a Abs. 1, dass das Gericht in einem Verfahren, das die Personen- oder Vermögenssorge für ein Kind betrifft, die Eltern anhört. In Angelegenheiten der Personensorge soll das Gericht die Eltern in der Regel persönlich anhören. Bei Maßnahmen, mit denen die Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind die Eltern stets persönlich anzuhören. Gemäß § 50a Abs. 2 hört das Gericht den Elternteil an, der nicht sorgeberechtigt ist, es sei denn, dass von der Anhörung eine Aufklärung nicht erwartet werden kann.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. DIE BEHAUPTETE VERLETZUNG DES ARTIKELS 8 DER KONVENTION

29. Der Beschwerdeführer rügt, dass die Entscheidungen der deutschen Gerichte, durch die seine Anträge auf Gewährung eines Umgangsrechts für seinen nichtehelichen Sohn zurückgewiesen wurden, Artikel 8 der Konvention verletzen, dessen einschlägige Passagen wie folgt lauten:

„1. Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres ... Familienlebens ...

2. Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist ... zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“.

A. Argumente der erschienenen Parteien

1. Der Beschwerdeführer

30. Der Beschwerdeführer trägt vor, dass er mit der Mutter und dem gemeinsamen Kind eine Familie gebildet habe, bis die Beziehung zur Mutter etwa anderthalb Jahre nach der Geburt des Kindes endete. Für ihn ist diese Situation mit der eines geschiedenen Paares vergleichbar, weshalb ihm wie einem geschiedenen Vater auch ein Umgangsrecht für sein Kind hätte gewährt werden müssen. Er ist der Auffassung, dass er aufgrund der Bestimmungen des deutschen Rechts zur Regelung der Kontakte zwischen Vätern und ihren nichtehelichen Kindern, insbesondere des § 1711 BGB, der in dem fraglichen Zeitraum galt, einen Schaden erlitten habe. Diese Bestimmung sei erst mit Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes aufgehoben worden. Dem Beschwerdeführer zufolge stützt sich die Argumentation des Bundesverfassungsgerichtes immer noch auf § 1711 BGB. Er führt aus, dass das Verhalten der deutschen Gerichte zur damaligen Zeit das Ausbleiben der Umgangskontakte zwischen ihm und seinem Sohn seit dem Jahre 1991 verursacht habe. Die deutschen Gerichte hätten zugelassen, dass die Mutter die Kontakte abbrach und seinen Sohn beeinflusste, was zur Folge gehabt hätte, dass dieser dann den weiteren Umgang mit seinem Vater ablehnte. Zwar hätte der Beschwerdeführer nach dem 1. Juli 1998 erneut ein Umgangsrecht für seinen Sohn beantragen können, doch seien inzwischen Jahre, in denen er sinnvolle Kontakte zu seinem Sohn hätte aufbauen können, unwiederbringlich vergangen.

31. Außerdem sei ihm das Kind entfremdet worden, da seit dem letzten Kontakt viel Zeit vergangenen sei. Nach Ansicht von Sachverständigen ist dieses Problem nur mit besonderer psychologischen Unterstützung zu lösen. Eine derartige Unterstützung sei aber nur dann möglich und Erfolg versprechend, wenn die allein sorgeberechtigte Mutter zustimme und das Kind mitarbeite. Es sei jedoch zu erwarten, dass das Kind, das jetzt über 13 Jahre alt ist, den Umgang mit seinem Vater ablehnen würde. In der Regel werde in den Entscheidungen deutscher Berufungsgerichte großes Gewicht auf den Willen eines Kindes in diesem Alter gelegt, dessen Meinung in Verfahren zur Regelung des Umgangsrechts der Eltern zu berücksichtigen sei. Aus diesem Grund hätten sie dem Vater gegen den Willen des Kindes kaum ein Umgangsrecht eingeräumt.

32. In ihren Beschlüssen verweigerten sowohl das Amtsgericht Mettmann als auch das Landgericht Wuppertal dem Beschwerdeführer den Umgang mit seinem Sohn, weil das schlechte Verhältnis zwischen den Eltern das Kind in einen Loyalitätskonflikt führen würde und weil das Kind den Vater bei zwei Anhörungen durch das Gericht „böse“ oder „doof“ genannt und hinzugefügt hatte, dass es ihn auf keinen Fall sehen wolle. Bei der zweiten Anhörung erklärte das fast sechsjährige Kind: „Mama sagt immer, dass Egbert nicht mein Vater ist. Mama hat Angst vor Egbert“. Dem Beschwerdeführer zufolge hat das Kind diese Aussage unter dem Einfluss der Mutter oder dem Einfluss ihrer engsten Umgebung mit Billigung der Mutter gemacht. Eine weitere Erklärung des Kindes, die das Gericht festhielt, habe gezeigt, dass die Mutter das Kind erschreckt hatte, weil sie davonstürzte, als sie den Vater einmal zufällig auf der Straße traf.

33. Diese Aussagen des Kindes sind nach dem Vortrag des Beschwerdeführers von äußerster Wichtigkeit, zeigten sie doch, dass die Mutter das Kind gegen seinen Vater aufgehetzt habe, der so Opfer der Eltern-Kind-Entfremdung (PAS) geworden sei. Infolgedessen habe das Kind auch jeden weiteren Umgang mit seinem Vater abgelehnt. Wäre damals ein Familien- oder Kinderpsychologe zu Rate gezogen worden, so hätte verdeutlicht werden können, dass das Kind von seiner Mutter beeinflusst worden bzw. gegen den Vater instrumentalisiert worden war. Daher habe die Entscheidung der beiden Gerichte, einen Sachverständigen, wie vom Beschwerdeführer beantragt und vom Jugendamt empfohlen, nicht einzuschalten, eine Verletzung der Interessen nicht nur des Vaters, sondern auch des Kindes dargestellt, da die Kontakte zu dem anderen Elternteil mittel- und langfristig dem Kindeswohl dienten.

34. Durch die Weigerung, dem Vater ein Umgangsrecht zu gewähren, und durch die Entscheidungen zugunsten der allein sorgeberechtigten Mutter hätten die deutschen Gerichte, einschließlich des Bundesverfassungsgerichtes, gegen die verfassungsmäßige Verpflichtung des Staates, die Rechte seiner Bürger gegen Verletzungen durch andere Bürger zu schützen, verstoßen. Der Staat habe die Pflicht, in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung die Wahrung der Menschenrechte sicherzustellen.

35. Die amerikanischen Forschungsergebnisse zum PAS seien seit 1984 und 1992 zugänglich. Sie hätten rasch zu einer Vielzahl von Fachveröffentlichungen geführt und seien von amerikanischen sowie kanadischen Gerichten in ihrer Rechtsprechung berücksichtigt worden.

Wäre Deutschland bereit gewesen, die Ergebnisse dieser Studien, die in den USA erfolgt sind, wo viel höhere Forschungsetats zur Verfügung stehen, zu berücksichtigen und umzusetzen, hätte das Gericht schon damals zu einer anderen Entscheidung kommen können, denn der das Kind anhörende Richter hätte dessen den Vaterablehnende Äußerungen anders auslegen können. Zumindest jedoch hätte das Gericht einen Sachverständigen beauftragen müssen, dem die besondere Psychodynamik familiärer Beziehungen vertraut ist.

36. Der Beschwerdeführer trägt abschließend vor, dass die deutschen Behörden ihre aus Artikel 8 der Konvention herrührende Pflicht, die Menschenrechte der Bürger zu schützen, verletzt hätten, da sie es bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt unterlassen hätten, den deutschen Jugendämtern und Familiengerichten die Ergebnisse der internationalen PAS-Forschung zur Kenntnis zu geben und ihnen eine entsprechende Fortbildung anzubieten.

2. Die Regierung

37. Die Regierung räumte unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 13. Juni 1979 in der Sache Marckx ./. Belgien, Serie A, Band 30 und vom 26. Mai 1994 in der Sache Keegan ./. Irland, Serie A, Band 290) ein, dass das Verhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Sohn als Familienleben im Sinne des Artikels 8 Abs. 1 anzusehen sei. Gleichwohl ist sie der Auffassung, dass die gesetzliche Regelung des Umgangsrechts für Väter nichtehelicher Kinder als solche keinen Eingriff in die von dieser Bestimmung garantierten Rechte darstelle. Die Regierung räumt hingegen ein, dass die im vorliegenden Fall aufgrund dieser Rechtsvorschriften getroffenen Entscheidungen der deutschen Gericht einen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers gemäß Artikel 8 Abs. 1 darstelle.

38. Unter Berücksichtigung der Kriterien, die in der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes bezüglich der positiven Verpflichtungen im Zusammenhang mit einer wirksamen Achtung des Familienlebens wie auch hinsichtlich der Rechtfertigungsgründe für einen Eingriff nach Artikel 8 Abs. 2 aufgeführt sind (s. Urteil oben in der Sache Marckx ./. Belgien, Urteil vom 18. Dezember 1986 in der Sache Johnston ./. Irland, Serie A, Band 112, und Urteil oben in der Sache Keegan ./. Irland), trägt die Regierung vor, dass die vom deutschen Gesetzgeber im Hinblick auf die besondere Situation nichtehelicher Kinder getroffene Regelung innerhalb des den Vertragsstaaten eingeräumten Ermessensspielraums liege.

39. Die Regierung ist der Meinung, dass die betreffenden Entscheidungen der deutschen Gerichte dem deutschem Recht entsprachen und dem Schutz des Wohls des Kindes des Beschwerdeführers dienten. Darüber hinaus sei der gerügte Eingriff notwendig in einer demokratischen Gesellschaft im Sinne von Artikel 8 Abs. 2 gewesen. In dieser Hinsicht führt die Regierung aus, dass Leitlinie für die Entscheidung der deutschen Gerichten der Grundsatz des Kindeswohls war. Daher sei auch die Ablehnung eines nur zwangsweise durchzusetzenden Umgangsrechts in Bezug auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig. Die Regierung weist darauf hin, dass das Landgericht zu seiner Schlussfolgerung gelangt sei, indem es sich auf den Eindruck aus der Anhörung des Kindes gestützt habe. Das deutsche Recht kenne nicht die Möglichkeit, die Beteiligten zu verpflichten, sich einer Familientherapie zu unterziehen, um günstige Voraussetzungen für ein Umgangsrecht zu schaffen, und es könne nicht im Wohl des Kindes liegen, angesichts des Konflikts zwischen den Eltern eine Schlichtung anzuordnen.

3. Die Kommission

40. Nachdem sie im vorliegenden Fall eine Verletzung des Artikels 8 in Verbindung mit Artikel 14 der Konvention festgestellt hat, hielt es die Kommission nicht für erforderlich, über die behauptete Verletzung des Artikels 8 für sich genommen zu entscheiden. Allerdings verwies sie auf die vorgebrachten Argumente hinsichtlich des Artikels 8 in Verbindung mit Artikel 14, und zog den Schluss, dass die von der Kindesmutter zum Ausdruck gebrachten Einwände offenbar erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen der deutschen Gerichte gehabt hätten. Des weiteren führte die Kommission aus, dass die Gerichte nicht die Notwendigkeit des Eingriffs geprüft hätten, d.h. die Frage, ob das Kindeswohl des C. die Verweigerung des Umgangsrechtes wirklich erforderte. In dieser Hinsicht unterschied sie zwischen dem vorliegenden Fall und den Fällen, in denen die nationalen Gerichte zu dem Schluss gekommen waren, dass das Kindeswohl die Verweigerung des Umgangsrechtes erfordere, nachdem sie einen detaillierten Bericht der Sozialen Dienste oder Gutachten von Ärzten erhalten hatten. Nach Ansicht der Kommission standen die eingesetzten Mittel zum angestrebten Zweck nicht in einem angemessenen Verhältnis.

41. Zehn Kommissionsmitglieder mit einer abweichenden Meinung jedoch gaben der Meinung Ausdruck, dass Artikel 8 nicht verletzt worden sei. Nach ihrer Ansicht hätten die Gerichtsentscheidungen gezeigt, dass die Gründe für den Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers ausreichend und zutreffend waren. Zudem sei der Entscheidungsfindungsprozess dazu angetan gewesen, dem Beschwerdeführer eine hinreichende Beteiligung zu ermöglichen. In dieser Hinsicht stellten sie fest, dass der Beschwerdeführer mit einem Vermittler des Jugendamts Erkrath in Kontakt treten konnte, vom Amtsgericht angehört worden war und das Landgericht mit einer Beschwerde befassen konnte.

42. Zwei weitere Kommissionsmitglieder mit abweichender Meinung vertraten die Auffassung, dass die Verweigerung, ein unabhängiges psychologisches Gutachten zu beantragen oder Einzelheiten anzuführen, die dem Amtsgericht als Grundlage für seine Würdigung dienten, zusammen mit der Tatsache, dass der Beschwerdeführer seine Argumente zugunsten eines solchen Gutachtens oder einer derartigen Würdigung anlässlich einer Anhörung durch das Landgericht nicht vorbringen konnte, seinen Interessen besonders geschadet hätten, denn das Umgangsrecht sei ursprünglich aufgrund der Vorbehalte der Mutter gegen den Beschwerdeführer, die sie auf das Kind übertragen habe, verweigert worden. Unter diesen Umständen habe der Beschwerdeführer bei dem Entscheidungsfindungsprozess insgesamt eine nicht hinlänglich bedeutende Rolle spielen können, wodurch ihm der erforderliche Schutz seiner Interessen gewährt worden wäre. Diese beiden Mitglieder mit abweichender Meinung folgerten daraus, dass Artikel 8 verletzt worden ist.

B. Würdigung des Gerichtshofs

1. In Bezug auf das Vorliegen eines Eingriffs in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Familienlebens gemäß Artikel 8 der Konvention

43. Der Gerichtshof ruft in Erinnerung, dass der Begriff der Familie im Sinne dieses Artikels sich nicht allein auf eheliche Beziehungen beschränkt, sondern auch andere de facto „Familien“-Bande umfassen kann, wo die Beteiligten außerhalb einer Ehe zusammenleben. Ein aus einer solchen Beziehung hervorgegangenes Kind ist ipso jure vom Zeitpunkt seiner Geburt an und durch den bloßen Umstand seiner Geburt Teil dieses „Familien“-Verbandes. Daher besteht zwischen dem Kind und seinen Eltern eine Verbindung, die einem Familienleben entspricht (Urteil vom 26. Mai 1994, in der Sache Keegan ./. Irland, Serie A, Band 290, S. 18-19, Nr. 44). Der Gerichtshof weist ferner darauf hin, dass für einen Elternteil und sein Kind das Zusammensein einen grundlegenden Bestandteil des Familienlebens darstellt, selbst wenn die Beziehung zwischen den Eltern zerbrochen ist, und dass innerstaatliche Maßnahmen, die die Betroffenen an diesem Zusammensein hindern, einen Eingriff in das durch Artikel 8 der Konvention geschützte Recht bedeuten ( s. u.a. Urteil vom 7. August 1996, in der Sache Johansen ./. Norwegen, Urteils- und Entscheidungssammlung 1996-III, S. 1001-1002, Nr. 52, sowie Urteil vom 9. Juni 1998, in der Sache Bronda ./. Italien, Sammlung 1998-IV, S. 1489, Nr. 51).

44. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer mit seinem Sohn seit dessen Geburt im Dezember 1986 bis Juni 1988, als die Mutter ihn mit beiden Kindern verließ, zusammenlebte, d.h. etwa anderthalb Jahre. Bis Juli 1991 sah er seinen Sohn weiterhin häufig. Die nachfolgenden Entscheidungen, die dem Beschwerdeführer das Umgangsrecht verweigerten, stellen daher einen Eingriff in die Ausübung seines von Artikel 8 Abs. 1 der Konvention garantierten Rechtes auf Achtung des Familienlebens dar. Unter diesen Umständen hält es der Gerichtshof für nicht erforderlich zu prüfen, ob § 1711 BGB als solcher einen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Familienlebens darstellt.

45. Der vorstehend erwähnte Eingriff stellt eine Verletzung von Artikel 8 dar, es sei denn, er ist „gesetzlich vorgesehen“, verfolgt ein oder mehrere legitime Ziele gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung und kann als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ angesehen werden.

2. In Bezug auf die Rechtfertigung des Eingriffs

a. „gesetzlich vorgesehen“

46. Vor dem Gerichtshof war es unbestritten, dass die betreffenden Entscheidungen auf einer Bestimmung des innerstaatlichem Rechts basierten, nämlich auf § 1711 Abs. 2 BGB in der im fraglichen Zeitraum geltenden Fassung.

b. Legitimes Ziel

47. Nach Ansicht des Gerichtshofes zielten die vom Beschwerdeführer angefochtenen Gerichtsentscheidungen eindeutig auf den Schutz „der Gesundheit oder der Moral“ und „der Rechte und Freiheiten“ des Kindes ab. Dementsprechend verfolgten sie im Sinne des Artikels 8 Abs. 2 legitime Ziele.

c. „Notwendig in einer demokratischen Gesellschaft“

48. Bei der Entscheidung darüber, ob die streitige Maßnahme „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war, wird der Gerichtshof im Lichte des Falles als Ganzes prüfen, ob die zur Rechtfertigung dieser Maßnahme angeführten Gründe zutreffend und ausreichend für die Zwecke des Artikels 8 Abs. 2 der Konvention waren. Zweifellos steht bei jedem Fall dieser Art die Überlegung, was dem Kindeswohl am besten dient, stets im Mittelpunkt. Ferner ist zu bedenken, dass die nationalen Behörden in der vorteilhaften Situation sind, dass sie in unmittelbarem Kontakt zu allen Beteiligten stehen. Es ist daher keineswegs Aufgabe des Gerichtshofs, selbst an die Stelle der nationalen Behörden zu treten, um die Fragen des Sorge- und Umgangsrechts zu regeln, sondern im Lichte der Konvention die Entscheidungen zu überprüfen, die sie in Ausübung ihres Ermessens getroffen haben (Urteil vom 23. September 1994 in der Sache Hokkanen . /.Finnland, Serie A, Band 299-A, S. 20, Nr. 55, sowie entsprechend das o.g. Urteil Bronda, S. 1941, Nr. 59).

49. Der den zuständigen innerstaatlichen Behörden eingeräumte Ermessensspielraum unterscheidet sich je nach Art der streitigen Fragen und Bedeutung der betroffenen Interessen. Somit erkennt der Gerichtshof an, dass die Behörden einen breiten Ermessensspielraum haben, insbesondere bei Erwägung der Frage, ob ein Kind in Pflege zu geben ist. Hingegen ist eine genauere Kontrolle bei weitergehenden Beschränkungen erforderlich, wie beispielsweise bei Beschränkungen des Umgangsrechts der Eltern durch die Behörden, sowie bei gesetzlichen Vorkehrungen, die einen effektiven Schutz des Rechts der Eltern und Kinder auf Achtung ihres Familienlebens gewährleisten sollen. Diese weitergehenden Einschränkungen bergen die Gefahr, dass die Familienbeziehungen zwischen den Eltern und einem jungen Kind endgültig abgeschnitten werden (o.a. Urteil in der Sache Johansen, S. 1003, Nr. 64, und Urteil in der Sache K. und T. ./. Finnland, Nr. 25702/94, Nr. 135, EGMR 2000- ...).

50. Der Gerichtshof erinnert ferner daran, dass ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen des Kindes und denen des Elternteils herbeizuführen ist ( s. z.B. Urteil vom 27. November 1992 Olsson ./. Schweden (Nr. 2), Serie A, Band 250, S. 35-36, Nr. 90). Hierbei hat der Gerichtshof dem Wohl des Kindes, das je nach Art und Bedeutung gegenüber dem Wohl des Eltern überwiegen kann, besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Insbesondere kann der Elternteil nach Artikel 8 der Konvention nicht berechtigt sein, solche Maßnahmen zu verlangen, die die Gesundheit und Entwicklung des Kindes beeinträchtigen würden (s. o. Urteil in der Sache Johansen ./.Norwegen, S. 1008, Nr. 78).

51. Im vorliegenden Fall stellt der Gerichtshof fest, dass sich die zuständigen nationalen Gerichte bei der Zurückweisung der vom Beschwerdeführer beantragten Besuchsregelung auf die Aussagen des Kindes gestützt haben, das im Alter von etwa 5 bzw. 6 Jahren vom Amtsgericht befragt worden war, dass sie das gespannte Verhältnis zwischen den Eltern berücksichtigt haben, wobei es ihres Erachtens unerheblich war, wer für die Spannungen verantwortlich war, und dass sie zu dem Schluss gelangt waren, dass die Wiederanbahnung der Kontakte dem Kind schaden würde.

52. Der Gerichtshof zieht nicht in Zweifel, dass diese Punkte erheblich waren. Gleichwohl ist festzustellen, ob der Beschwerdeführer angesichts der besonderen Umstände des Falles und vor allem angesichts der Bedeutung der zu fällenden Entscheidungen, insgesamt in den Entscheidungsfindungsprozess als Ganzes hinlänglich eingebunden war, so dass der erforderliche Schutz seiner Interessen sichergestellt war (Urteil vom 8. Juli 1987 in der Sache W. ./. Vereinigtes Königreich, Serie A, Nr. 121, S. 29, § 64). Der Gerichtshof hebt hervor, dass das Amtsgericht im vorliegenden Fall die Einholung eines Sachverständigengutachtens für entbehrlich erachtete, da der Sachverhalt evident und vor dem Hintergrund des § 1711 BGB umfassend aufgeklärt sei (s. Nr. 16 oben). In diesem Zusammenhang habe das Amtsgericht auf das gespannte Verhältnis zwischen den Eltern und vor allem auf die Vorbehalte der Mutter gegen den Vater, die sie auf das Kind übertragen habe, verwiesen. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die vom Amtsgericht angeführten Gründe nicht für die Erklärung ausreichen, weshalb es unter den gegebenen Umständen entgegen der Empfehlung des Jugendamts Erkrath ein Sachverständigengutachten für nicht erforderlich hielt. Zudem hätte sich das Landgericht im Hinblick auf die Bedeutung des Sachverhalts, nämlich die Beziehungen zwischen Vater und Kind, nicht damit zufrieden geben dürfen, sich unter diesen Umständen auf die Aktenlage und die schriftliche Beschwerdebegründung zu beziehen, sondern hätte ein psychologisches Sachverständigengutachten einholen müssen, um die Aussagen des Kindes zu bewerten. Der Gerichtshof stellt hierbei fest, dass der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde die Erkenntnisse des Amtsgerichts angefochten und ein Sachverständigengutachten beantragt hat, um die tatsächlichen Wünsche seines Kindes zu ermitteln und die Frage des Umgangs auf dieser Grundlage zu entscheiden, wobei das Landgericht befugt war, alle Punkte im Zusammenhang mit dem beantragten Umgangrecht zu überprüfen.

53. Die Verweigerung eines unabhängigen psychologischen Sachverständigengutachtens und die unterbliebene Anhörung vor dem Landgericht verdeutlicht nach Meinung des Gerichtshofs eine unzureichende Einbindung des Beschwerdeführers in den Entscheidungsfindungsprozess. Der Gerichtshof kommt daher zu dem Schluss, dass die nationalen Behörden ihren Ermessensspielraum überschritten und somit die Rechte des Beschwerdeführers nach Artikel 8 der Konvention verletzt haben.

II. DIE BEHAUPTETE VERLETZUNG DES ARTIKELS 14 DER KONVENTION IN VERBINDUNG MIT ARTIKEL 8

54. Der Beschwerdeführer rügt ferner eine Diskriminierung unter Verletzung des Artikels 14 der Konvention in Verbindung mit Artikel 8. Artikel 14 bestimmt:

„Der Genuss der in dieser Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten“.

55. Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist die Regelung des § 1711 BGB betreffend die Kontakte zwischen einem Vater und seinem nichtehelichen Kind im Gegensatz zu den Bestimmungen des § 1634 BGB, der die Kontakte zwischen einem Vater und seinem ehelichen Kind regelt, diskriminierend.

56. Die Regierung hält weder die gesetzliche Regelung des Umgangrechts für nichteheliche Kinder an sich noch ihre Anwendung auf den Fall des Beschwerdeführers für diskriminierend im Hinblick auf das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Familienlebens.

57. Die Regierung verweist darauf, dass die Kommission in früheren Entscheidungen festgestellt hat, dass die Bestimmungen des § 1711 BGB nicht gegen das Diskriminierungsverbot nach Artikel 14 verstoßen (Beschwerde Nr. 9588/81, Entscheidung vom 15. März 1984, Beschwerde Nr. 9530/81, Entscheidung vom 14. Mai 1984, beide unveröffentlicht). Die Erwägungen, dass Väter nichtehelicher Kinder oftmals kein Interesse an Kontakten mit ihren Kindern hätten und zudem eine nichteheliche Lebensgemeinschaft jederzeit verlassen könnten, und dass es daher normalerweise dem Kindeswohl entspreche, wenn Sorge- und Umgangsrecht der Mutter zugebilligt würden, träfen weiterhin zu, auch wenn die Häufigkeit nichtehelicher Lebensgemeinschaften zugenommen habe. § 1711 Abs. 2 BGB schaffe einen angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen, die in allen derartigen Fällen aufträten. In diesem Zusammenhang bemerkte die Regierung, dass das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts an dieser Beurteilung nichts ändere. Außerdem hätten die Gerichte im Fall des Beschwerdeführers die Meinung vertreten, dass die Gewährung eines Umgangsrechts für den Vater nicht dem Wohle des Kindes diene und die Situation des Beschwerdeführers daher mit der eines geschiedenen Vaters vergleichbar sei.

58. Die Kommission vertritt die Ansicht, dass die Argumente der beklagten Regierung hinsichtlich der Unterscheidung zwischen verheirateten und nicht verheirateten Vätern, die § 1711 Abs. 2 BGB zugrunde liegt, die Verweigerung des Umgangsrechtes nicht hinreichend begründen. Der Kommission zufolge war die Situation des Beschwerdeführers, als er ein Recht auf Umgang beantragte, mit der eines Elternteils vergleichbar, dem nach der Scheidung nicht das Sorgerecht übertragen wurde. Während nach deutschem Recht jedoch dem geschiedenen Elternteil ein Umgangsrecht eingeräumt werden konnte, soweit dies nicht dem Kindeswohl schadete, kam der leibliche Vater nur dann in den Genuss dieses Rechts, wenn der Umgang dem Wohl des Kindes diente. Die Kommission folgert daraus, dass im vorliegenden Fall eine Verletzung des Artikels 8 in Verbindung mit Artikel 14 der Konvention vorliege.

59. Der Gerichtshof hält es nicht für erforderlich, zu ergründen, ob die frühere deutsche Gesetzgebung als solche, nämlich § 1711 Abs. 2 BGB, zwischen Vätern nichtehelicher Kinder und geschiedenen Vätern eine nicht zu rechtfertigende Entscheidung vornahm, die im Sinne von Artikel 14 diskriminierend wäre, da es den Anschein hat, dass die Anwendung dieser Bestimmung auf den vorliegenden Fall nicht zu einem anderen Ansatz geführt hätte als bei einem geschiedenen Paar.

60. Der Gerichtshof stellt fest, dass sich die Begründung des Amtsgerichtes in dem Beschluss vom 17. Dezember 1993 nach Anhörung des Kindes und der Eltern ausdrücklich auf die Gefahr stützte, die für die Entwicklung des Kindes bestanden hätte, wenn die Kontakte mit dem Beschwerdeführer gegen den Willen der Mutter wieder aufgenommen worden wären. Die grundlegende Überlegung galt daher der Gefährdung des Wohlbefindens des Kindes. Im Beschwerdeverfahren stützte das Landgericht seinen Beschluss vom 21. Januar 1994 gleichfalls auf die Erkenntnis, dass Kontakte für das Kind schädlich seien. Nach Überzeugung des Gerichtshofs hat der Beschwerdeführer nicht dargelegt, dass ein geschiedener Vater in einer vergleichbaren Situation besser behandelt worden wäre. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass die ordentlichen Gerichte die gleichen Kriterien wie bei einem geschiedenen Vater angewandt hatten.

61. Demzufolge kann auf der Grundlage des hier vorliegenden Sachverhalts nicht behauptet werden, dass ein geschiedener Vater besser behandelt worden wäre. Somit lag keine Verletzung des Artikels 14 in Verbindung mit Artikel 8 vor.

III. DIE BEHAUPTETE VERLETZUNG DES ARTIKELS 6 ABS. 1 DER KONVENTION

62. Der Beschwerdeführer behauptet, dass Artikel 6 Abs. 1 der Konvention verletzt worden sei, dessen einschlägige Passagen wie folgt lauten:

„Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen (...) von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich (...) verhandelt wird.“

63. Der Beschwerdeführer behauptet, dass ihm durch die verweigerte Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie die nicht erfolgte Anhörung vor dem Landgericht die Möglichkeit genommen worden sei nachzuweisen, dass die Verweigerung des Umgangsrechts dem Wohle seines Sohnes zuwiderlaufe.

64. Die Regierung führt an, dass der Beschwerdeführer in der ersten Instanz angehört worden sei und es gemäß Artikel 6 Abs. 1 ausreiche, dass das Landgericht die Beschwerdeschrift zur Kenntnis genommen habe. Darüber hinaus stehe den Gerichten ein Ermessen bei der Beurteilung zu, welche der von den Parteien eines Zivilverfahrens angebotenen Beweise für eine Entscheidung maßgeblich seien. Im vorliegenden Fall hätten keine besonderen Umstände die Einholung eines Sachverständigengutachtens erfordert, um die Frage zu klären, ob Umgangskontakte des Beschwerdeführers mit C. dem Kindeswohl förderlich wären. Weiterhin sei das Landgericht unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Amtsgericht C. erst einen Monat vor der Entscheidung des Landgerichts angehört hatte und sich in der Akte ein detaillierter Vermerk über diese Anhörung befand, nicht verpflichtet gewesen, C. erneut anzuhören.

65. Die Kommission ist der Auffassung, dass das Verfahren vor dem Amtsgericht Mettmann und dem Landgericht Wuppertal insgesamt nicht den Erfordernissen eines fairen Verfahrens entsprochen habe, weil ein psychologische Sachverständigengutachten nicht eingeholt worden sei und das Landgericht keine erneute Anhörung durchgeführt habe.

66. Der Gerichtshof erinnert daran, dass die Zulässigkeit von Beweisen in erster Linie durch das innerstaatliche Recht geregelt wird und generell die nationalen Gerichte das ihnen vorgelegte Beweismaterial zu würdigen haben. Gemäß der Konvention ist es vielmehr Aufgabe des Gerichtshofes zu beurteilen, ob das Verfahren insgesamt und insbesondere die Art der Beweiserhebung fair war (s. entsprechend Urteile vom 12. Juli 1988 in der Sache Schenk ./.Schweiz, Serie A, Band 140, S. 29, Nr. 45 und 46, und vom 24. Oktober 1989 in der Sache H. ./. Frankreich, Serie A, Band 162, S. 23, Nr. 60-61).

67. Unter Berücksichtigung seiner Feststellungen unter dem Gesichtspunkt des Artikels 8 (s. Nr. 52-53 oben) ist der Gerichtshof der Meinung, dass das Verfahren als Ganzes im vorliegenden Fall wegen des Fehlens eines psychologischen Sachverständigengutachtens und dem Umstand, dass das Landgericht keine erneute Anhörung durchführte, obgleich nach Meinung des Gerichtshofs die Beschwerde des Beschwerdeführers sachliche und rechtliche Fragen aufwarf, die aufgrund des dem Landgericht vorliegenden schriftlichen Aktenmaterials nicht angemessen zu lösen waren, nicht den Erfordernissen eines fairen und öffentlichen Verfahrens im Sinne von Artikel 6 Abs. 1 gerecht wird. Infolgedessen ist diese Bestimmung verletzt.

IV. ANWENDUNG DES ARTIKELS 41 DER KONVENTION

67. Artikel 41 der Konvention lautet:

„Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist.“

A. Schaden

69. Der Beschwerdeführer fordert 90.000 DM als Ersatz für den erlittenen immateriellen Schaden: Die Verweigerung der Umgangskontakte zu seinem Sohne seit 1991 habe Angst und Leid bei ihm hervorgerufen. Er betont, dass der Verlust eines Kindes in keiner Weise in Geld aufgewogen werden könne. Es sei für ihn sehr schwierig zu ertragen, dass ihn zuerst die Mutter, dann das Jugendamt und die Gerichte daran hinderten, seine Verantwortung als Vater gegenüber seinem Sohn zu übernehmen und ihn bei Bedarf zu unterstützen. Um die Schwierigkeiten bedingt durch diese Jahre des Leidens zu bewältigen, habe er psychologische Hilfe in Anspruch nehmen müssen.

70. Die Regierung nimmt hierzu nicht Stellung.

71. Der Gerichtshof sieht sich nicht in der Lage festzustellen, ob die fraglichen Entscheidungen ohne Verletzung der Konvention anders ausgefallen wären. Dennoch vermag er nicht zu entscheiden, ob dem Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht ein praktischer Nutzen hätte erwachsen können. Zwar hat der Beschwerdeführer Verfahrensfehler erlitten, doch sind diese mit dem Eingriff in eines der grundlegendsten Rechte, nämlich dem auf Achtung des Familienlebens, eng verknüpft. Nach Meinung des Gerichtshofes kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer bei stärkerer Beteiligung am Entscheidungsfindungsprozess eine gewisse Befriedigung erfahren hätte, was seine künftigen Beziehungen mit seinem Kind hätte verändern können. Daher mag er tatsächlich einen Verlust von Möglichkeiten erlitten haben, die eine Entschädigung rechtfertigen. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer sicherlich infolge von Ängsten und Sorgen einen immateriellen Schaden erlitten.

72. Der Gerichtshof gelangt somit zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer einen gewissen immateriellen Schaden erlitten hat, der durch die Feststellung einer Verletzung der Konvention nicht hinreichend wiedergutgemacht werde. Keiner der oben angeführten Faktoren eigne sich zu einer exakten Berechnung. Der Gerichtshof nimmt auf der Grundlage der Bestimmungen des Artikels 41 eine Bewertung vor und billigt dem Beschwerdeführer 35.000,-- DM zu.

B. Kosten und Auslagen

73. Der Beschwerdeführer verlangt ferner 12.584,26 DM für Kosten und Auslagen vor den deutschen Gerichten und den Konventionsorganen (davon 10.049,45 DM für das letztere Verfahren).
73. Stellt der Gerichtshof eine Verletzung der Konvention fest, kann er dem Beschwerdeführer nicht nur die Kosten und Auslagen vor den Organen der Konvention zubilligen, sondern auch diejenigen, die vor den nationalen Gerichten entstanden sind, um diese Verletzung zu verhindern oder ihr abzuhelfen (s. insbesondere Urteil vom 25. August 1998 in der Sache Hertel ./. Schweiz, Sammlung 1998-VI, S. 2334, Nr. 63). Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer unter Berücksichtigung des Gegenstandes und der Bedeutung des Verfahrens vor den deutschen Gerichten berechtigt, zusätzlich zu den Kosten und Auslagen der Verfahren vor der Kommission und dem Gerichtshof die Erstattung der für dieses Verfahren angefallenen Kosten und Auslagen zu verlangen. Der Gerichtshof erachtet es für erwiesen, dass die Kosten und Auslagen tatsächlich und notwendigerweise entstanden sind und ihre Höhe angemessen ist (s. u.a. Urteil vom 28. Juli 1999 in der Sache Immobiliare Saffi ./. Italien, Nr. 79, demnächst in der amtlichen Sammlung des Gerichtshofes veröffentlicht).

Unter diesen Umständen hält es der Gerichtshof für angemessen, dem Beschwerdeführer die geforderten 12.584,26 DM zuzubilligen.

C. Verzugszinsen

Nach den Informationen des Gerichtshofs beträgt der in Deutschland zum Zeitpunkt dieses Urteils geltende gesetzliche Zinssatz 4 % jährlich.

AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF

1. mit dreizehn zu vier Stimmen, dass Artikel 8 der Konvention verletzt ist;

2. einstimmig, dass Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 der Konvention nicht verletzt ist;

3. mit dreizehn zu vier Stimmen, dass Artikel 6 Abs. 1 der Konvention verletzt ist;

4. einstimmig

a) dass der beklagte Staat dem Beschwerdeführer innerhalb von drei Monaten zuzüglich etwaig anfallender Mehrwertsteuer folgende Beträge zu zahlen hat:

i) 35.000,00 (fünfundreißigtausend) DM wegen immateriellen Schadens;

ii) 12.584,26 DM (zwölftausendfünfhundertvierundachtzig Mark und sechsundzwanzig Pfennige) für Kosten und Auslagen;

b) dass diese Beträge nach Ablauf der genannten Frist und bis zur Zahlung um nicht kapitalisierbare Zinsen von 4 % jährlich zu erhöhen sind;

5. einstimmig, dass der Antrag auf gerechte Entschädigung im übrigen zurückgewiesen wird.

Ausgefertigt in französischer und englischer Sprache und am 13. Juli 2000 gemäß Artikel 77 Absätze 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes schriftlich übermittelt.

Maud DE BOER-BUQUICCHIO

Luzius WILDHABER

Vizekanzlerin

Präsident

Gemäß Artikel 45 Abs. 2 der Konvention und Artikel 74 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes ist dem Urteil die teilweise abweichende Meinung von Herrn A.B. Baka, der sich Frau E. Palm sowie die Herren J. Hedigan und E. Levits angeschlossen haben, beigefügt.